Entschädigungspflicht des Staates
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Bewandtnis: Schädigungen der Einzelnen durch
Fehlgehen der Justiz kommen ja zahlreich vor und
erforderten Ausgleichung nach Billigkeitsrecht
wie andere; aber die rechtlichen Formen zur Gel-
tendmachung der Billigkeit haben gerade hier
lange Zeit versagt, und zwar aus Gründen, die
in der Sonderstellung der Justiz liegen und in der
für sie beanspruchten formellen Unfehlbarkeit.
Dagegen ist noch besonders hervorzuheben, daß
die ganze auf der Eigenart des Verhältnisses zwi-
schen Staat und Untertan beruhende Billigkeits-
sorderung nicht besteht da, wo der Staat dem Un-
tertan als Gleicher gegenübertritt, als Fiskus
in privatwirtschaftlichen Betrieben, daß die hier
fragliche Entschädigungspflicht also ausgeschlossen
ist, wo die nach Zivilrecht geregelten Schadens-
ersatzpflichten ihren Platz haben. In diesem Ge-
gensatz wird die Zugehörigkeit unserer ausgleichen-
den Entschädigung als eines Instituts des öffent-
lichen Rechtes erkennbar und rechtfertigt sich für
sie der Name der öffentlichrechtlichen
Entschädigung. Doch kommt es eben darauf
an, ob das geltende Recht sie in ihrer grundsätz-
lichen Eigenart erfaßt und gestaltet, oder das durch
die Billigkeit geforderte Ziel auf Umwegen durch
aehmung zivilrechtlicher Formen zu erreichen
ucht.
# 4. Anerkennung der Billigkeitsentschädi-
gung im geltenden Recht. Sie ist lückenhaft und
unvollkommen, begreiflicherweise; denn eine an-
gemessene Form kann dem Gedanken nur das
öffentliche Recht bereiten, dieses aber ist bei uns
noch unfertig und dem juristischen Denken im all-
gemeinen noch ungeläufig. Das erklärt alles. In
dreierlei Gestalt tritt uns die Verwirklichung des
großen Rechtsgedankens entgegen:
1. Die Gesetzgebung hat in einer Reihe von
besonderen Fällen die durch die Billig-
keit geforderte Entschädigung vorgesehen. Meist
ist das geschehen im Zusammenhang mit der ge-
setzlichen Ermächtigung und Regelung eines Ein-
riffes, der die Voraussetzungen jener Billigkeits-
orderung erfüllt: Enteignung, Rayonservituten,
Quartierlasten, Requisitionen und noch vieles
andere. In selbständiger Weise ist die Entschädi-
gungspflicht geregelt worden für die Manöver-
schäden, ohne daß zugleich diese selbst ihre Rechts-
grundlage erhalten hätten. Und ebenso haben die
Gv. 20. 5. 98 und 14. 7. 04 Entschädigung ge-
regelt für ungerechte Straf-- und Untersuchungs-
aft
2. Für die vielen Lücken, die da noch bleiben,
sind mehrfach Anläufe genommen worden zur
Aufstellung allgemeinerer Rechtssätze; aber ohne
durchschlagenden Erfolg.
Das französische Recht hatte durch
die Praxis des Staatsrates auf Grund des ein-
fachen Satzes der Erklärung der Menschenrechte
à 13, wonach alle Bürger gleichmäßig zu den
Staatslasten beizutragen haben, ein großartiges
System der öffentlichrechtlichen Entschädigung
ausgebildet. Auf deutschem Boden ist es, schon
mangels einer VerwRechtspflege, die es zu über-
nehmen gehabt hätte, verkümmert. Ein spärlicher
Rest ist verblieben in dem Elsaß-Lothringischen
G v. 13. 2. 05, wonach Beeinträchtigung des
Eigentums und sonstiger Rechte durch öffentliche
Arbeiten oder aus dem Betrieb eines öffentlichen
Unternehmens von dem Unternehmer ohne wei-
teres zu vergüten sind. Die zugleich angeordnete
Zuständigkeit der bürgerlichen Gerichte wird der
weiteren Entfaltung dieses Grundsatzes vorbeugen.
Das gemeine Recht hatte ein Gewohn-
heitsrecht entwickelt für Entschädigungspflichten
des Staates wegen der Nachteile, die er den Ein-
zelnen, auch nicht rechtswidrigerweise, zufügen
kann. Der Umfang ist streitig. Nach dem Zeugnis
des Reichsgerichts (Entsch 41, 143 ff) würde es
begreifen: die Entziehung von Eigentum, die Zer-
störung von Sachen, die im Eigentum stehen, die
Entziehung oder tatsächliche Vereitelung anderer
dinglicher Rechte.
Das preußische Recht hatte den Satz (AL
Einl. § 75): „Dagegen ist der Staat denjenigen,
welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem
Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern ge-
nötigt wird, zu entschädigen gehalten“ — und da-
mit eine unvergleichlich gute Grundlage gegeben
zur Entfaltung eines naturgemäßen Billigkeits-
rechts. Tatsächlich ist nicht viel daraus geworden.
Die Verwaltung sträubte sich gegen eine derartige
Kontrolle, die Gerichte hielten sich lieber an das
gemeine Zivilrecht, und die Wissenschaft brachte
dem in jenem Satze liegenden öffentlichrechtlichen
Gedanken auffallend wenig Eifer entgegen.
3. Dafür wurde von der Theorie wie von der
gerichtlichen Praxis desto erfolgreicher das Zivil-
recht zur Aushilfe herangezogen mit seinen ge-
meinen Ordnungen von Schadensersatzpflichten.
Für sehr viele Fälle, in welchen die Billigkeit eine
Entschädigungspflicht des Staates verlangt wegen
des Schadens, der entstanden ist durch das Fehl-
gehen seiner Anstalten und Unternehmungen,
konnte der Erfolg erreicht werden durch die An-
nahme einer Haftung des Staates für das
Verschulden seiner Leute oder die mangelhafte
Beschaffenheit seiner Sachen. Die Gerichte halfen
dem Geschädigten auf dem Wege der Klage er
delicto gegen den Fiskus. Die Landesgesetze
haben diesen Ausweg im Anschluß an Ec z. BG B
à 65 systematisch begünstigt; in gleichem Sinne
wurde zuletzt durch Rue v. 22. 5. 10 die Haftung
des Reichs für seine Beamten geordnet. Daß es
sich in Wahrheit gar nicht um Deliktsrecht handelt,
sondern um ein falsch benanntes Billigkeitsrecht,
beweist die Anordnung der Haftung des Staates
auch für den Fall, daß sein Beamter selbst aus
irgend einem Grunde nicht haftbar wäre.
Einen zweiten Weg, das Billigkeitsrecht in
zivilrechtlicher Form zur Geltung zu bringen, bot
die mehr oder minder gewaltsame Annahme von
staatlichen Vertragsverpflichtungen,
deren Nichterfüllung dann die Schadensersatz-
verbindlichkeit nach sich zog. Die Tätigkeit der
öffentlichen Anstalten, gerichtliche Hinterlegungen,
Postdienst usw., alles wird zu diesem Zwecke mit
Vertragsnatur ausgestattet. Am bezeichnendsten
ist wohl die Beschaffung eines Schadensersatzes
für die Anlieger einer öffentlichen Straße, die
verlegt oder erhöht wird: durch den Bau ihres
Hauses sollen sie einen Vertrag mit der Stadt ab-
geschlossen haben, der ihnen die Vorteile der
Straße in Gestalt einer Dienstbarkeit garantiert
(Re 10, 271). Der gute Zweck wird hier auf
sehr unnatürlichem Umwege erreicht, und seitdem.
dieser Umweg durch die Bestimmungen des BGB
über dingliche Verträge an unbeweglichen Sachen
verschlossen worden ist, wird auch jener Zweck