Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Freizügigkeit (A Reichsgebiet) 
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land partikulare Sonderbestimmungen IN| Ge- 
sindepolizeil. 
II. Trägt die F. im obigen Sinne mehr dem 
Freiheitsgefühl Rechnung, so nützt die Frei- 
zügigkeit im engeren Sinne dem 
wirtschaftlichen Gedeihen einer Person. Zur 
Freiheit des Aufenthalts muß die Freiheit 
des Erwerbes kommen, oder richtiger die 
rechtliche Gleichstellung des Aufenthaltnehmenden 
mit den am gleichen Orte wohnenden Personen 
(wirtschaftliche Freizügigkeit). 
III. Im Feudal- und dann im Patrimonial- 
staate ist, wie v. Gneist in der 1. Auflage dieses 
Werkes (Band I S 450ff) zeigte, aus der Um- 
gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse heraus 
die F. mehr und mehr beschränkt worden. Die 
bäuerliche Bevölkerung wird an die Scholle ge- 
fesselt; in den Städten wehren die Zünfte den 
Zutritt ab. „Zahllose sichtbare und unsichtbare 
Bande fesseln die arbeitenden Klassen und sichern 
für Stadt und Land die nötigen Arbeitskräfte. 
Noch im 19. Jahrhundert ist nach Aufhebung der 
Hörigkeit auch für die Angehörigen der mittleren 
und kleineren Staaten ein Wechsel der Nieder- 
lassung in ihrem eigenen Staate sehr erschwert; 
insbesondere wird das Recht der Eheschließung 
[UIHeimatt dem Nichtansässigen verkümmert. 
Die Umwälzung der wirtschaftlichen Verhältnisse 
führt zunächst in Preußen durch das G v. 31. 12. 
1842 zu einer grundlegenden Aenderung. „Kei- 
nem selbständigen preußischen Untertan darf an 
dem Orte, wo er eine eigene Wohnung oder ein 
Unterkommen sich selbst zu verschaffen imstande 
ist, der Aufenthalt verweigert oder durch lästige 
Bedingungen erschwert werden.“ 
Für das Gebiet des norddeutschen Bundes 
führt diesen Grundsatz in Ausführung des a 3 der 
Verf das R# v. 1. 11.67 (FG) ein, das nunmehr 
im ganzen Gebiete des Reiches gilt (zuletzt nach 
der Kais. V v. 29. 3. 09 R GBl 335)] auch für 
Helgoland), dagegen nicht in den deutschen Schutz- 
gebieten (unten B). 
## 2. Inhalt der Freizügigkeit. I. Jeder Deut- 
sche hat hiernach das — zumeist im Verw Streit- 
verfahren verfolgbare — Recht, nicht nur in dem 
Bundosstaat, dem er angehört, sondern im ganzen 
Gebiete des Reiches sich aufzuhalten oder sich 
niederzulassen und Grundeigentum zu 
erwerben. Ueberdies kann er an jedem Ort trotz 
mangelnder Staats= oder Gemeindeangehörig- 
keit Rechtsgeschäfte abschließen und Gewerbe 
betreiben wie ein Staats= oder Gemeinde- 
angehöriger; der Nichtbesitz der Staats= oder Ge- 
meindeangehörigkeit kann ihm nicht schaden, um- 
petehrt ihn nicht besser stellen als den „Einheimi- 
Die- F. schützt daher, wenn auch obrigkeitliche 
„Beschränkungen durch lästige Bedingungen" ver- 
boten sind, nicht vor Erfüllung derjenigen Aufla- 
gen, welche auch den „Einheimischen“ treffen; 
z. B. nicht vor der Verpflichtung zur Erwerbung 
des Bürgerrechts usw. 
Eine Verletzung dieser Vorschrift wäre es, wenn 
eine Gemeinde wegen der Aufenthaltsnahme 
(also nicht wegen Benutzung gemeindlicher Ein- 
richtungen) eine Abgabe erheben wollte; das ist 
ausdrücklich verboten in § 8 F.G. Der „Neu- 
anziehende“ ist aber sogar dadurch bevorzugt, daß 
er vor Ablauf von 3 Monaten nicht zu den Ge- 
  
meindelasten herangezogen werden darf:; von 
solchen freilich, die ihren Rechtsgrund in einem 
Sachverhältnis haben, z. B. in der Tatsache des 
Grundbesitzes, des Gewerbebetriebes ist er nicht 
befreit; vgl. Preuß. Komm Abg G # 33 (Freiheit 
von der Kommunaleinkommensteuer). Die GewO 
(7 13) gestattet die Heranziehung eines Gewerbe- 
treibenden als solchen zum Bürgerrecht erst nach 
Ablauf von 3 Jahren; dabei darf überdies das 
Bürgerrechtsgeld nicht gefordert werden. Um- 
gekehrt wird durch den bloßen Aufenthalt oder 
die bloße Niederlassung als solche die Staats- 
angehörigkeit und die Gemeindeangehörigkeit 
nicht begründet (§ 11). Hiefür sind die besonderen 
Gesetze, hinsichtlich der Gemeindeangehörigkeit die 
Landesgesetze maßgebend. Wenn diese wie dies 
z. B. in Bayern der Fall ist, den Anspruch auf 
Heimaterwerb auf Grund länger dauernden Auf- 
enthalts nur Staatsangehörigen zugestehen, so 
wird hieran durch die F. nichts geändert. 
Die F. steht der Gültigkeit landesrechtlicher Vor- 
schriften über die „Anmeldung" neu Anziehender 
(Fremdenpolizei) nicht im Wege (§ 10). Die Ver- 
fehlung gegen solche Vorschriften bewirkt aber 
nicht den Verlust des Aufenthaltsrechts (I Mel- 
dewesenl. 
II. Die F. gilt für den Deutschen inner- 
halb des Deutschen Reiches. Der Deutsche 
hat aber dauch das Recht, das Reichsgebiet zu ver- 
lassen, d. h. auszuwandern (KAüber Beschrän- 
kungen in dieser Hinsicht Auswanderung l. 
Im Auslande besitzt der Deutsche als solcher selbst- 
verständlich ein Aufenthaltsrecht nicht. Die deut- 
schen Schutzgebiete sind für den Deutschen 
in dieser Hinsicht Ausland [Ausweisung 
#J# 71. Durch Staatsverträge, insbesondere die 
sogen. Niederlassungsverträge, ist dem Deutschen 
in gewissem Umfang die Möglichkeit gewährleistet, 
auch in einzelnen Gebieten des Auslandes sich 
aufzuhalten und tätig zu sein; doch ist der Um- 
fang dieser internationalen F. hier nicht zu er- 
gn IJ Ausländer, Ausweisung, Armenwe- 
en!l. 
§ 3. Voraussetzungen. I. Nur dem Deut- 
schen ist F. gewährt. Er muß auf „Verlangen“ 
die Reichsangehörigkeit d. h. die Angehörigkeit zu 
einem deutschen Bundesstaat nachweisen (F.G 
§s 2: PaßG F+8 3). Im einzelnen sind die landes- 
gesetzlichen Bestimmungen maßgebend. Diese 
dürfen aber (Paß G § 1) die Vorlage von „Pässen“ 
1 Reisepapieren nicht fordern []Paßwe- 
enl. 
Aufenthaltsrecht wird nur an jenem Orte ge- 
währt, an welchem der Deutsche sich ein Un- 
terkommen zu verschaffen imstande ist. Als 
solches gilt nicht nur die eigene Wohnung, sondern 
auch ein anderer „Aufenthaltsraum“ z. B. eine 
Schlafstelle (so Bayer. Min E v. 4. 5. 71). Kann 
jemand ein solches Unterkommen nicht finden, 
so geht er für diesen Ort des Aufenthalts rechtes 
verlustig; besser gesagt: das Reichsrecht hindert 
seine Ausweisung aus diesem Orte nicht (be- 
stritten; dagegen u. a. Seydel StR 3, 30 18). 
Für willensunfähige und für unter elterlicher 
Gewalt stehende Personen bestimmt den Auf- 
enthalt der gesetzliche Vertreter. Sie müssen also 
auf „Verlangen“ die Genehmigung dieses Ver- 
treters zu ihrem Aufenthalt nachweisen. Die 
Ehefrau, welche von der F. Gebrauch macht, be-
	        
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