Gewerbe (IV. Gewerbeaufsicht)
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bedeutungsvolle Ausgestaltung erfuhr dann die
Einrichtung durch die große Gewerbeordnungs-
novelle v. 1. 6. 91, das Arbeiterschutzgesetz, welches
im Anschluß an die Beschlüsse der internationalen
Arbeiterschutzkonferenz von 1890 zum ersten Male
in umfassender Weise die zum Wohle der gewerb-
lichen Arbeiter erforderlichen und möglichen An-
ordnungen einer großartigen Kodifikation unter-
zog. In diesem Gesetze wurde die Sonntags-
ruhe für die gewerblichen Arbeiter geregelt, das
Recht zur Anleitung von jugendlichen Arbeitern
unter 18 Jahren einer Neuordnung unterzogen,
die Vorschriften über Arbeitsbücher und Arbeits-
zeugnisse verschärft und revidiert, die Vorschriften
über das sog. Trucksystem wurden einer Umgestal-
tung und Erweiterung unterworfen, über Lohn-
einbehaltungen und Lohnverwirkungen, über den
Fortbildungsunterricht der jugendlichen Arbeiter,
über den Schutz der Arbeiter gegen Gefahren für
Leben und Gesundheit sowie im Interesse der
Aufrechterhaltung der guten Sitten, über Nacht-
arbeit und den Maximalarbeitstag für weib-
liche und jugendliche Arbeiter und die Zulässigkeit
seiner Einführung auch für erwachsene männliche
Arbeiter, über die Kündigungesfristen, über den.
Erlaß von Arbeitsordnungen in Fabriken, über
Arbeiterausschüsse und Arbeitervertretungen und
ähnliches wurden eingehende Bestimmungen er-
lassen ( Gewerbliche Arbeiter, Arbeiterschutzl.
Die Aufsicht über die Durchführung dieser Vor-
schriften erheischte eine wesentliche Erweiterung
der bestehenden für die Aussichtsbeamten erlasse-
nen Bestimmungen, und so wurde ihnen nunmehr
im # 139b die entsprechende Aufgabe zugewiesen.
Es wurde ihnen die Aufsicht über die Durchführung
der Bestimmungen über die Sonntagsruhe in
allen gewerblichen Betrieben mit Ausnahme des
Handelsgewerbes, über die zum Schutze der ge-
werblichen Arbeiter gegen Gefahren für Leben
und Gesundheit und im Interesse der Aufrecht-
erhaltung der guten Sitten in den ##s# 120a bis
120e GewO und den auf Grund dieser Vorschrif-
ten erlassenen Bestimmungen sowie über die für
die Fabrikarbeiter und insbesondere die jugend-
lichen und weiblichen Fabrikarbeiter in den g8 134
bis 139a getroffenen Vorschriften übertragen.
Während im übrigen der §& 139b in der Fassung,
welche er durch das G von 1878 erhalten hat, un-
verändert blieb, brachte die Novelle von 1891 ihm
insofern zwei wichtige Neuerungen, als einerseits
die Arbeitgeber verpflichtet wurden, den Auf-
sichtsbeamten oder der Polizeibehörde diejenigen
statistischen Mitteilungen über die Verhältnisse
ihrer Arbeiter zu machen, welche vom Bundesrat
oder von der Landeszentralbehörde unter Fest-
setzung der dabei zu beobachtenden Fristen und
Formen vorgeschrieben werden. Solche Erhe-
bungen wurden vom B in der Bek v. 26. 3. 92
(Rol 337) über die Zahl der am 1. 4. 92 in
Fabriken und diesen gleichgestellten Anlagen und
in Bergwerken beschäftigten Arbeiterinnen und
ferner auf Grund der Verhandlungen der Kom-
mission bezw. der Abteilung für Arbeiterstatistik
angeordnet. Andererseits wurde der frühere Abs 4
des § 139b, welcher noch für einzelne Bezirke mit
geringem Fabrikbetriebe eine Dispensation von
der Einführung der Aufsichtsbeamten gestattet
hatte, nunmehr beseitigt, da sich die Aufsicht nicht
mehr auf die Fabrikbetriebe beschränkte, sondern in
dem geschilderten Umfange sich auf die sämtlichen
Gewerbe erstreckte, so daß seither die Einrichtung
zu einer obligatorischen für das ganze Deutsche
Reich geworden ist lZiffern S. 254 Anm.)].
s# 2. Der Aufgabenkreis für die nunmehrigen
Gewerbeaufsichtsbeamten ist nicht auf die ihnen
durch das Gesetz überwiesenen Pflichten beschränkt
geblieben, sondern konnte durch die Dienstanwei-
sungen wesentlich erweitert werden und wurde
es auch tatsächlich vielfach. Im Kgr Sachsen
liegen ihnen die periodischen Revisionen der
Dampfkesselanlagen [Vl ob. Dieselbe Aufgabe hat-
ten sie früher auch in Preußen, doch ist sie ihnen
jetzt in der Hauptsache abgenommen und, soweit
nicht damit die Bergrevierbeamten befaßt sind,
im wesentlichen den Dampfkessel-Ueberwachungs-
vereinen übertragen worden. Die Gewerbeauf-
sichtsbeamten haben nach § 2 der DampfkesselAnw
v. 2. 3. 00 nur noch diejenigen fiskalischen Kessel
zu überwachen, für deren Ueberwachung nicht
andere Beamte bestellt sind. In Elsaß-
Lothringen steeht ihnen die Kessel-Ueber-
wachung in den ihrer Aufsicht unterstehenden Be-
trieben zu (§ 18 V v. 27. 12. 88), ohne daß sie
zu ihren Pflichten gehört. Außerdem ist ihnen in
Preußen und Elsaß-Lothringen durch die
DAnw v. 23. 3. und 26. 5. 92/17. 6C. 04 die Be-
aufsichtigung der nach § 16 GewO genehmigungs-
pflichtigen gewerblichen Anlagen (I, ferner die Auf-
sicht über die Beachtung der in den § 107—113
und 115—119a Gew O getroffenen Bestimmun-
gen über die Arbeitsbücher und Arbeitszeugnisse
sowie über Lohnzahlungen und Lohneinbehal-
tungen (Trucksystem) überwiesen. In Bayern
haben sie gleichfalls die Aufsicht über die Ausfüh-
rung der Bestimmungen der ## 107—119 ferner
haben sie die nach § 16 GewO genehmigungs-
pflichtigen Anlagen hinsichtich ihrer Einrichtungen
zum Schutze gegen Gefahren für Leben und Ge-
sundheit der Arbeiter zu beaufsichtigen und weiter
auch die Beachtung der Vorschriften in den ##5 126
bis 128 bezüglich der Lehrlingshaltung zu kontrol-
lieren. Auch in Sachsen haben sie allgemein
gegen Benachteiligung, Gefährdung oder Belästi-
gung durch den Betrieb gewerblicher Anlagen
einzuschreiten.
Ihre Aufgaben hinsichtlich des Schutzes der
jugendlichen Arbeiter haben eine bedeutungsvolle
Erweiterung erfahren einerseits durch die Tat-
sache, daß die Vorschriften der 135 ff über die
Beschäftigung jugendlicher und weiblicher Fabrik-
arbeiter durch die Kais. V v. 13. 7. 00 auf die Mo-
torwerkstätten, durch die Kais. V v. 31. 5. 97/17.
2. 03 auf die Werkstätten der Kleider-- und Wäsche-
konfektion und durch die Kais. V v. 21. 2. 07 auf
die Werkstätten der Tabakindustrie ausgedehnt
wurden, andererseits durch § 21 Abs 1 des G betr.
Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben v. 30. 3.
1903, wonach die Bestimmungen des § 139b
GewO Anwendung finden, insoweit nicht durch
Bundesratsbeschluß oder durch die Landesregie-
rungen die Aufsicht über Durchführung des Ge-
setzes anderweitig geregelt ist. Der Bundesrat hat
keine Vorschriften erlassen, dagegen ist in den
Ausführungsanweisungen der Bundesstaaten die
Regelung im allgemeinen nach der Richtung er-
folgt, daß, soweit nicht die Ortspolizeibehörden
ausschließlich mit der Aufsicht betraut sind, neben
ihnen die G.Beamten damit befaßt werden.