Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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Gewerbliches Unterrichtswesen (Gesetzgebung) 
  
bracht. Infolgedessen hat das Privatschulwesen /I 
viel an Bedeutung verloren; es spielt zur Zeit fast 
nur noch eine Rolle auf den Gebieten des kauf- 
männischen und hauswirtschaftlichen Unterrichts. 
1 3. Gesetzgebung im Reiche und in den 
größeren deutschen Staaten. 
1. Reichsgesetze: 3# 120 der Reichs- 
gewerbeordnung: 
„Die Gewunnternehmer sind verpflichtet, ihren Arbeitern 
unter 18 Jahren, welche eine von der Gemeindebehörde 
oder vom Staate als Fortb Sch anerkannte Unterrichtsan- 
stalt besuchen, hierzu die erforderlichenfalls von der zustän- 
digen Behörde festzusetzende Zeit zu gewähren. Am Sonn- 
tage darf der Unterricht nur stattfinden, wenn die Unter- 
richtsstunden so gelegt werden, daß die Schüler nicht be- 
hindert werden, den Hauptgottesdienst oder einen mit Ge- 
nehmigung der kirchlichen Behörden für sie eingerichteten 
besonderen Gottesdienst ihrer Konfession zu besuchen. Aus- 
nahmen von dieser Bestimmung kann die Zentralbehörde 
für bestehende Fortb Sch, zu deren Besuche keine Verpflich- 
tung besteht, bis zum 1. 10. 94 gestatten. 
Als Fortb Sch im Sinne dieser Bestimmung gelten auch 
Anstalten, in welchen Unterricht in weiblichen Hand= und 
Hausarbeiten erteilt wird. 
Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder 
eines weiteren Kommunalverbandes (1 142) kann für 
männliche Arbeiter unter 18 Jahren, sowie für weibliche 
Handlungsgehilfen und -Lehrlinge unter 18 Jahren die 
Verpflichtung zum Besuche einer FortbSch, soweit diese 
Berpflichtung nicht landesgesetzlich besteht, begründet wer- 
den. Auf demselben Wege können die zur Turchführung 
dieser Verpflichtung ersorderlichen Bestimmungen ge- 
troffen werden. Insbesondere können durch statutarische 
Bestimmung die zur Sicherung eines regelmäßigen Schul- 
besuchs den Schulpflichtigen sowie deren Eltern, Vormün- 
dern und Arbeitgebern obliegenden Verpflichtungen be- 
stimmt und diejenigen Vorschriften erlassen werden, durch 
welche die Ordnung in der Fortb Sch und ein gebührliches 
Verhalten der Schüler gesichert wird. Von der durch sta- 
tutarische Bestimmung begründeten Verpflichtung zum Be- 
such einer Fortbildungsschule sind diejenigen befreit, welche 
eine Innungs- oder andere Fortb= oder Fach Sch besuchen, 
sofern der Unterricht dieser Sch von der höheren Verw#e- 
hörde als ein ausreichender Ersatz des allgemeinen Fortb Sch- 
Unterrichts anerkannt wird.“ 
An weiteren reichsgesetzlichen Vorschriften sind 
zu nennen: 
5 76 Abs 4 HGB v. 10. 5. 97 (RGBl 219) 
dehnt die Verpflichtung der Lehrherren, dem 
Lehrlinge die zum Besuch einer Fortb Sch erfor- 
derliche Zeit zu gewähren, auf die Kaufleute aus. 
GewO: &.142 (Formen der im §& 120 vorge- 
sehenen statutarischen Bestimmungen), # 150 
  
Ziff. 4 (Strasc für Zuwiderhandlungen), 88 81b 
Ziff. 1, 83 Ziff. 10, 101 Abs 1 (Befugnis für In- 
nungen und Innungsausschüsse, Schulen zu un- 
terstützen, zu errichten usw., § 103 Ziff. 1 (Re- 
gelung des FortbSch Besuchs der Handwerks- 
lehrlinge durch die Handwerkskammern), 983 127, 
1148 Ziff. 9 (Pflicht des Lehrherrn, den Lehrling 
zum Besuch der Fortb= oder Fach Sch anzuhalten 
unter Strafdrohung), § 127b Abs 2 (Entlassung 
l 
  
des Lehrlings bei Vernachlässigung des Besuchs 
sind die in öffentlichen oder privaten Diensten beschäftigten 
der Fortb= oder Fach Sch), § 139 i (Schulbesuch 
der Gehilfen und Lehrlinge in kaufmännischen 
Geschäften). & 154 nimmt von diesen Vor- 
schristen die Gehilsen und Lehrlinge in Apo- 
theken aus. 
  
2. Landesgesetze: 
a) Preußen: 1s 87 des BergG v. 24. 6. 
65/24. 6. 92 (GS 1892 S 131) dehnt die Be- 
stimmung des § 120 GewO auf Bergwerksbe- 
sitzer und Bergarbeiter aus und ermöglicht die 
statutarische Einführung der Fortb Sch Pflicht für 
männliche Bergarbeiter unter 18 Jahren mit Zu- 
stimmung des Oberbergamts. § 38 Abs 2 des 
Güber die Handelskammern v. 24. 2. 70/19. 8. 97 
(GS 1897 S 354) gibt den Handelskammern die 
Befugnis, Anstalten und Einrichtungen, die die 
technische und geschäftliche Ausbildung, die Er- 
ziehung und den sittlichen Schutz der im Handel 
und Gewerbe beschäftigten Gehilfen und Lehr- 
linge bezwecken, zu begründen, zu unterhalten 
und zu unterstützen. nri 
Das G v. 1. 8. 09 (GS 733) ermächtigt die 
Gemeinden und weiteren Kommunalverbände, 
zur Unterhaltung der gewerblichen und kauf- 
männischen Fortb Sch von den Arbeitgebern der 
Fortb Schüler Beiträge zu erheben, die bei ge- 
werblichen Fortb Sch nicht mehr als Mk. 10.— 
und bei kaufmännischen nicht mehr als Mk. 50.— 
jährlich für jeden Schüler betragen dürfen. 
Die G v. S. S. 04 (GE 242), v. 28. 1. 09 (GS 7) 
und v. 2. 7. 10 (GS 129), betr. die Verpflichtung 
zum Besuch ländlicher Fortbildungs- 
schulen in den Provinzen Hessen-Nassau, 
Hannover und Schlesien, bieten die Möglichkeit, 
in diesen Provinzen auch bei ländlichen Fortb Sch 
die Schulpflicht durch Ortsstatut einzuführen. 
Das zu Germanisierungszwecken erlassene G, 
betr. die Einrichtung und Unterhaltung von 
Fortb Sch in den Provinzen Westpreußen und 
Posen v. 4. 5. 86 (GS 243) mit der Novelle v. 
24. 2. 97 (GS 41) ermächtigt den Minister für 
Handel und Gewerbe, in den genannten Provin- 
zen Fortbch mit laufenden Zuschüssen zu unter- 
stützen, geeignetenfalls auch solche Sch aus Staats- 
mitteln zu errichten und zu unterhalten, und 
außerdem die Fortb Sch Pflicht durch Erlaß ein- 
zuführen, wo dies nicht im Wege statutarischer 
Bestimmung der Gemeinde oder eines weiteren 
Kommunalverbandes geschieht. 
Wegen der Aufsicht über die gewerblichen Pri- 
vatschulen siehe den MinErl v. 15. 2. 1908 
(VerwBer des Land GewAmts Bd 3, S 74). 
Um das gewerbliche und kaufmännische Fortb Sch Wesen 
in ganz Preußen auf einheitlicher Grundlage regeln und zu- 
gleich den Kreis der Schulpflichtigen auch über den Rahmen 
der Reichsgewerbeordnung hinaus erweitern zu können, 
hatte die Preußische Staatsregierung dem Landtag am 
6. 3. 11 einen „Gesetzentwurf, betrefsend die Errichtung und 
den Besuch von Pflichtfortbildungsschulen“ zur Beschluß- 
fassung vorgelegt. Die Grundsätze dieses Gesetzentwurfes 
  
woaren in der Hauptsache folgende: 
1. Gemeinden mit 10 000 und mehr Einwohnern sind 
verpflichtet, für die in ihnen beschäftigten männlichen Ar- 
beiter unter 18 Jahren Fortb Sch zu errichten. Die Er- 
richtung von Fortb Sch für weibliche Arbeiter bleibt ihrem 
freien Entschlusse überlassen. 
2. Gemeinden mit geringerer Einwohnerzahl bleibt die 
Errichtung von Fortb Sch freigelassen. 
3. In Gemecinden mit 10 000 und mehr Einwohnern 
männlichen Personen unter 18 Jahren gesetzlich verpflichtet, 
die Fortb Sch zu besuchen; die weiblichen Arbeiter können 
durch statutarische Bestimmung zum Schulbesuch ver- 
pilichtet werden.
	        
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