Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Hamburg (Bürgerschaft) 
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nicht vollendet haben, die keine Einkommensteuer 
zahlen oder mit ihr im Rückstand sind, die entmün- 
digt sind oder sich im Konkurs befinden, denen die 
bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, oder die 
sich in Untersuchungshaft befinden. 
Von den 80 aus den allgemeinen Wahlen hervor- 
gehenden Mitgliedern werden 72 im Stadtgebiet, 
8 im Landgebiet gewählt. Das Stadtgebiet ist für 
die allgemeinen Wahlen in zwei Wahlbezirke zer- 
legt, in die alle 6 Jahre je 36 Abgcordnete gewählt 
werden. Diese Wahl erfolgt nach den Grund- 
sätzen der Verhältniswahl. Zu dem Ende sind die 
wahlberechtigten Bürger des Wahlbezirks in zwei 
Gruppen zerlegt, von denen die erste den Wähler 
mit mehr als 2 500 Mk. Jahreseinkommen, die 
zweite die übrigen Wähler enthält. Auf die erste 
Gruppe entfallen 24 Sitze, auf die zweite 12. 
Grundlage für diese Wahl sind die Vorschlagslisten, 
die gültig nur von mindestens 30 wahlberechtigten 
Bürgern der betreffenden Kategorie unter Bezeich- 
nung eines Vertrauensmannes aufgestellt werden 
können. Diese Vorschlagslisten können verbunden 
werden. Behufs Ermittlung des Wahlergebnisses 
wird eine Verteilungszahl nach den abgegebenen 
Stimmen berechnet und danach ausgerechnet, 
wieviel Abgecordnete auf jede Liste entfallen. Nach- 
wahlen finden nicht statt; beim Fortfall eines Ab- 
georducten rückt als Hintermann der Kandidat mit 
der besten Stimmenzahl auf seiner Vorschlagsliste 
kraft Gesetzes nach. Die allgemeinen Wahlen auf 
dem Landgebiet erfolgen als Einzelwahlen mit 
absoluter Stimmenmehrheit eventuell unter Stich- 
wahl. 
Die Wahlen für die Grundeigentümer erfolgen 
gleichfalls in zwei Wahlbezirken, von denen jeder 
alle 6 Jahre zwanzig Abgeordnete erwählt. Für 
die Notabelnwahlen bildet das ganze Staats- 
gebiet einen Wahlbezirk, in dem alle drei Jahre 
20 Sitze besetzt werden. Auch die beiden letzteren 
Kategorien unterliegen den Bestimmungen über 
die Verhältniswahlen. 
Die Anordnung der Wahlen liegt beim-Senat, 
dem die Zentral-Wahlkommission und die Einzel- 
Wahlkommission für die einzelnen Wahlstellen zur 
Seite stehen. Für Wählerlisten und Wahlverfah- 
ren gelten vielfache Einzelbestimmungen. 
2. Die Bürgerschaft tagt ständig und kennt 
weder Sessionen noch Legislaturperioden. Sie 
kann nicht aufgelöst werden. Die Verhandlungen. 
sind regelmäßig öffentlich. Die Bürgerschaft ist 
bei Anwesenheit von 80 Mitgliedern beschlußfähig, 
sie erwählt einen Präsidenten, einen ersten und 
zweiten Vize-Präsidenten und 4 Schriftführer aus 
ihrer Mitte. Die Befugnisse ihrer Organc passen 
sich den üblichen parlamentarischen Formen an. 
Die Bürgerschaft gliedert sich in Ausschüsse, deren 
Vornehmster der verfassungsmäßig festgelegte 
Bürgerausschus ist. Dieser besteht aus 19 
unter besonderen Kautelen erwählten Mitgliedern, 
denen als zwanzigstes und als ihr Präsident der 
Präsident der Bürgerschaft hinzutritt. Dieser 
Bürgerausschuß vertritt in geseslich festgelegten 
  
Fällen die Bürgerschaft, außerdem ist er zum 
Wächter der Verfassung bestellt. 
Die Abstimmungen in der Bürgerschaft erfol- 
gen bei Wahlen mit einfacher Majorität, bei An- 
tragen bedarf es, wenn nicht einc nochmalige Ab- 
stimmung vorgenommen werden soll, einer 25 
Mojorität. 
3. Die Kompetenz der Bürgerschaft be- 
schränkt sich trotz des àa 6 nicht auf die materielle 
Gesetzgebung, sondern erstreckt sich auch auf die 
qualifizierten Verwakte, die man als formelle 
Gesetzgebung zusammenzufassen pflegt. Weiter 
aber übt die Bürgerschaft durch die Wahlen zu den 
Verw Deputationen, von denen die zur Finanz- 
Deputation gqualifiziert sind, auch reine Verw- 
Handlungen aus. 
Die Bürgerschaft hat das Recht, vom Senat 
Auskunft in Verwüngelegenheiten zu verlangen, 
ihr werden die Abrechnungen über Einnahmen 
und Ausgaben des Staates vorgelegt. 
Die Bürgerschaft erscheint also bei der Aus- 
übung der Staatsgewalt durch das Mitgesetzge- 
bungerecht und durch die teilweise Mitverwaltung 
als eine Teilhaberin an der Herrschaft, und ist 
innerhalb ihrer Kompetenz ein permanenter Bei- 
rat der Regierung. 
I1II. Die Gesetzgebung wird von Senat 
und Bürgerschaft gemeinsam in der Weise aus- 
geübt, daß zu einem Gesetz der übereinstimmende 
Beschluß von Senat und Bürgerschaft notwendig 
ist. Beiden Teilen steht das Vorschlagsrecht zu. 
Für gewisse Dinge gibt es eine erleichterte Form, 
die Uebereinstimmung herbeizuführen; für Ver- 
fassungsänderungen besteht eine Erschwerung der 
Abstimmung. Publikation und Ausführungsver- 
ordnung gebühren dem Senat. Wenn keine Frist 
gesetzt ist, tritt das Gesetz mit dem Tage der Publi- 
kation im „Amtsblatt“" in Kraft. 
Wenn sich bei Verhandlungen zwischen Senat 
und Bürgerschaft eine beharrliche Meinungs- 
verschiedenheit zeigt, wird auf Antrag 
eines Teiles eine Vermittlungs-Deputation ge- 
wöhnlich von 9 Mitgliedern zu ½ aus dem Senat, 
zu 29 aus der Bürgerschaft eingesetzt. Falls deren 
Vermittlungsvorschläge nicht angenommen wer- 
den, dann entscheidet das Reichsgericht endgültig, 
sofern die Meinungsverschiedenheit betrifft die 
Auslegung der Verfassung oder von Gesetzen, 
ein von Senat oder Bürgerschaft behauptetes 
verfassungsmäßiges oder gesetzliches Recht, oder 
ein angebliches Amtsdelikt von Senat oder Be- 
hörden. 
Betrifft die Meinungsverschiedenheit einen 
andern Gegenstand und stimmen beide Teile 
überein, daß für das Gemeinwesen eine Ent- 
scheidung nötig ist, dann entscheidet eine, normal 
aus 16 Mitgliedern — 8 aus dem Senat, 8 aus 
der Bürgerschaft — bestehende Entscheidungs- 
Deputation mit Gesetzeskrast. Wahl und Ver- 
fahren sind mit besonderen Formen umgeben. 
§s 4. Die VBerwaltung. Obwohl à 6 der Verf 
die vollziehende Gewalt dem Senate zuweist, so 
wird dennoch ein wesentlicher Teil der Verwal- 
sünn von der Bürgerschaft und von Bürgern be- 
orgt. 
Der überwiegende Teil der Hamburzgischen 
Verwaltung ist Staatsverwaltung. Eine eigent- 
liche Selbstverwaltung findet nur auf dem Land- 
gebiet durch die dortigen Kommunal= und Zweck- 
verbände unter Staatsaussicht statt. 
Was zunächst den Behörden-Mecha- 
nismus angeht, so ist eine rein örtliche Glie- 
derung im VerwBezirke, wie sie der Flächenstaat 
hat, beim Hamburger Stadtstaat unmöglich ge- 
wesen. Erstere kennt nur das in die 4 Land- 
herrenschaften (oben &5 2 1) zerfallende Landgebiet,
	        
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