Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
  
Hebammen 
unehelichen und Totgeburten, sonst nur bei Ver- 
hinderung der zur Anzeige Verpflichteten. 
2. Ausbildung, Befähigungszeugnis, Fort- 
bildung. Die Ausbildung der H. geschiceht in 
cignen ärztlich geleiteten Lehranstalten, deren 
erste in Preußen 1775 in der Charité eingerichtet 
wurde. In Deutschland bestehen 45 derartige An- 
stalten, die sämtlich öffentlich, und zwar entweder 
staatlich (z. T. in Preußen, fast durchweg in 
allen übrigen Bundesstaaten, vereinigt mit den 
Universitätskliniken) oder kommunalständisch (in 
Preußen im Besitze der Provinzen) sind. In die- 
sen Anstalten ist für etwa 1800 H. Schülerinnen 
Platz. Die Ausbildungszeit beträgt 31½—9 Mo- 
nate je nach der Forderung der verschicdencn 
Staaten. Vorbedingungen zur Aufnahme sind im 
wesentlichen folgende: 
a) eine gewisse Altersgrenze, deren unterste 20 
(in Baden 18), deren oberste 30 (in Bayern 360) 
Jahre beträgt, wobei (in Preußen) Alteredispens 
möglich ist, 
b) der Nachweis körperlicher und geistiger Ge- 
sundheit und Befähigung zum H.Beruf durch 
Zeugnis des beamteten Arztes, 
c) der Nachweis guter Führung und sittlichen 
Lebenswandels, wobei der Umstand, daß die 
Aspirantin uncbelich geboren hat, in der Regel die 
Aufnahme ausschließt (Diepcns möglich). 
Ueber die Annahme der Schülerinnen entschei- 
den teils die staatlichen Behörden, teils die An- 
staltsdirektionen. 
Die Ausbildung erfolgt entweder auf Kosten der 
Schülerin oder der Gemeinde; im letzteren Falle 
wird als Gegenleistung die Verpflichtung ver- 
langt, in einem bestimmten Bezirk eine gewisse 
Reihe von Jahren zu praktizieren. Die Kosten 
betragen je nach der Dauer der Ausbildung etwa 
300—800 Mk. (vielfach Ermäßigungen). Einige 
Anstalten, wie in Bonn und Mannheim, sind nur 
gebildeten Damen geöffnet. 
Die Ausbildung in den Lehranstalten ge- 
schieht an der Hand besondrer Lehrbücher für die 
H. und an dem zur Verfügung stehenden lebenden 
Material, das in der Hauptsache aus unehelichen 
Schwangeren besteht. Für Preußen, Sachsen, 
Württemberg und die thüringischen Staaten sind 
diese besonderen Lehrbücher von hervorragenden 
Fachmännern unter Beteiligung der Ministcrien 
ausgearbeitet. 
Die Prüfung wird in der H. Lehranstalt 
durch eine Prüfungskommission abgchalten, deren 
Vorsitzender der Medizinalrat der zuständigen Be- 
zirks-(in Bayern Kreis-MRegierung ist, während 
die beiden anderen Mitglicder aus dem Direktor 
der Anstalt und (in Preußen) einem Kreis-Arzt, 
(in Bayern) dem Repetitor der Anstalt bestehen. 
Nach bestandener Prüfung werden die H.Schüle- 
rinnen in Preußen durch den Vorsitzenden der 
Prüfungskommission vereidigt. 
Das Prüfungszeugnis gilt nur für das be- 
treffende Land, in dem die Prüfung abgehalten 
ist. Will eine geprüfte H. in einem andern Bun- 
desstaat ihr Gewerbe ausüben, muß sie die Prü- 
fung für diesen Staat nachholen. Ausnahmen 
von der Regel sind durchweg für die Grenzbezirke 
sowohl des In= als Auslandes zugelassen. Nach 
dem Beschl des BRKv. . 5. 87, der durch besondere 
Erlasse der einzelnen Bundesstaaten ergänzt ist, 
!- 
1 
)! 
— — — — 
— — — — —— 
  
  
  
  
373 
H. in den Grenzbezirken aufgestellt. Ferner be- 
stehen Staatsverträge über die Zulassung deut- 
scher H. in den Grenzbezirken des Auslandes und 
umgekehrt mit Belgien (7. 2. 73), den Nieder- 
landen (11. 12.73), Oesterreich-Ungarn (30. 9. 82), 
Luxemburg (4. 6. 83) und der Schweiz (29. 2. 84). 
Die Fortbildung der H., von sachverstän- 
diger Seite für sehr nötig gehalten, ist in den letz- 
ten Jahren wesentlich gefördert, indem fast überall 
Nachprüfungen und Fortbildungskurse einge- 
richtet sind. Die Nachprüfungen, in Zeiträumen 
von 1 Jahr (Bayern, Baden, Hessen) bis zu 2 
Jahren (Preußen), werden von den Kreis-(Be- 
zirks-Aerzten abgehalten und sind für alle H. 
obligatorisch. Außerdem sind Wiederholungslehr-- 
kurse eingerichtet, obligatorisch in Sachsen, Ba- 
den, Hessen, auch in einigen kleineren Staaten, 
fakultativ in Bayern und Sachsen-Weimar. In 
Preußen sind derartige Kurse an sast allen An- 
stalten eingerichtet; man strebt dahin, alle H. bis 
zu einem gewissen Alter alle 5 Jahre einzuberufen. 
Solche Kurse dauern von 6 Tagen bis zu 4 Wochen. 
3. Ausübung des Berufs, Rechte und Pflich- 
ten. Gebühren. Es sind zu unterscheiden frei- 
praktizierende und Bezirks-Hebam- 
men. Erstere sind in der Wahl ihres Nicderlassungs- 
ortes, nachdem sie ihr Prüsungszcugnis erhalten 
haben, frei (innerhalb des Landes, in dem die 
Prüfung abgclegt ist); letztere werden für einen 
bestimmten Bezirk gegen bestimmte Verpflich- 
tungen (Entbindung der Armen) angestellt, wofür 
ihnen gewisse Vergünstigungen (freie Ausbildung, 
freie Wohnung und Gerätschaften, geringes Ge- 
halt, Versorgung bei Invalidität) gewährt wer- 
den. In Sachsen gibt es nur Bezirks H., für die 
die Anstellungsverhältnisse gesetzlich geregelt sind; 
in allen andern Staaten frei praktizierende und 
Bezirke 0H. In Prcußen sind etwa 410 freiprak- 
tizierende und 59e5 Bezirke H. vorhanden. In 
Baden überwiegen die letzteren bei weitem. 
Die Tätigkeit der H. beschränkt sich im 
allgemeinen darauf, Beistand bei der normalen 
Entbindung zu leisten, die Wöchnerin in der ersten 
Zeit nach ihrer Niederkunft (8—10 Tage) und das 
Neugeborene abzuwarten. In Ausnahmefällen 
(beim Fehlen ärztlicher Hilse und bei gefahr- 
drohenden Zuständen) ist die H. auch zu gewissen 
manuellen Eingriffen besugt. Die Abgabe von 
inneren Arzneien, mit Auenalme einiger haim- 
loser, ist ihr untersagt. Der Umfang der Tätigkeit 
ist ihr durch das H. Lehrbuch, ihre besonderen 
Pflichten sind durch eine Dienstanweisung vorge- 
schrieben. Bei Abweichungen von der normalen 
Geburt, Erkrankungen der Wöchnerin und Neu- 
gebornen ist die H. angewiesen, rechtzeitig ärztliche 
Hilse zu verlangen, in bestimmten Fällen, na- 
mentlich ansteckenden Erkrankungen der Vöch- 
nerin, des Neugebornen oder ihrer Umgebung hat 
sie Anzeige beim Kreis-(Bezirks-, Obcramts-)#rzt 
zu erstatten. Vor allem ist es das übertragbare 
Kindbettficber, gegen das sich eine Reihe wichtiger 
Bestimmungen für die H. richten. Da das Kind- 
bettfieber nicht zu den unter das Reichsseuchen- 
gesetz fallenden gemeingesährlichen Krankheiten I/ 
gehört, ist die Regelung den Einzelstaaten über- 
lassen. Die gesetzlichen Vorschriften der deutschen 
Staaten stimmen darin überein, daß die H. von 
jedem Fall von Kindbettfieber in ihrer Praxis 
sind Grundsätze für die gegenseitige Zulassung der Anzeige zu erstatten und bestimmte Vorsichtemaß-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.