Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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Interessensphären — Internationales Privatrecht 
  
IV. Die praktische Bedentung schwindet mit 
der vollständigen Aufrichtung der Kolonialstaats- 
gewalt immer mehr. Die allmähliche Beseitigung 
er Ueberreste von J. in den deutschen Kolonien 
vollzieht sich nach der V v. 2. 5. 94 (RGBl 461), 
durch die der Reichskanzler ermächtigt ist, in den- 
jenigen Gebieten, deren Vereinigung mit dem 
Schutzgebiet angezeigt erscheint, die hierzu er- 
forderlichen Anordnungen in betreff der Orga- 
nisation der Verwaltung und Rechtspflege nach 
Maßgabe der für das Schutzgebiet geltenden Vor- 
schriften zu treffen. Bei der Inbesitznahme der J. 
durch die Kolonialverwaltung bedarf es einer 
besonderen Mitteilung an die übrigen Mächte 
(Notifikation) nicht, da meist die Abgrenzungs- 
verträge notifiziert sind. — In den Kolonien gel- 
tende Gesetze und Verordnungen dehnen sich mit 
dem Fortschreiten der Kolonialstaatsgewalt in 
ihrer Geltung ohne neue Verkündung von selbst 
auf die J. aus. — Auslieferungsverträge für die 
deutschen J. sind geschlossen mit England (5. 5. 94) 
und den Niederlanden (21. 9. 97). 
  
Literatur: Weißmüller, Die JI., Würzb. 
Diss., 1908; Fleischmann, Auslieferung und Nacheile 
nach deutsch. Kol.-Recht, 1906, 61—72; Sassen, Gesetzg. 
u. Ber.-Recht in den deutsch. Kol., 1900, 61 f. Außerdem 
die Lehrbücher des Bölker- u. deutsch. Staatsrechts sowie 
die Gesamtdarstellungen des deutschen Kolonialrechts von 
v. Stengel, Köbner und v. Hoffmann, und die Monographien 
über die Rechtsnatur der deutschen Schutzgebiete. 6 
Sassen. 
Internationales Privatrecht 
5 1. Gemeinsames. 1 2. Zivilrecht. 3 3. Freiwillige Ge- 
richtsbarkeit. 3 4. Zlvilprozeßrecht. ## 5. Strafrecht, Straf- 
prozeßrecht. 3 6. Verwaltungsrecht. 1 7. Staatsrecht. 
[IP J-.internationales Privatrecht; Zust — Zuständigkeit.] 
5 11. Gemeinsames. 
Das Internationale Privatrecht bilden die Rechts- 
sätze über die Grenzen der Wirksamkeit eines auto- 
nomen Verbands gegenüber anderen Verbänden 
leicher Art sowie über die Unterstützung, die ein 
olcher Verband der zuständigen Wirksamkeit ande- 
rer Verbände gewährt. Zuständigkeitslehre 
bildet den Mittelpunkt des JP; sie wird ergänzt 
durch die Rücksichtnahme auf fremde Zust. Zumeist, 
doch nicht immer (Provinz, adeliges Haus, Diözese, 
Eingeborenenstamm), handelt es sich dabei um 
staatliche Zust in ihrem Verhältnis zur Zust an- 
derer Staaten, wovon im folgenden allein ge- 
handelt werden soll. Und entsprechend den Ge- 
bieten, auf denen sich die staatliche Wirksamkeit 
überhaupt betätigt, zerfällt auch das IP (im wei- 
teren Sinn) in ein int Zivilrecht oder JIP im 
engeren Sinn, in das int Prozeßrecht, Strafrecht, 
Verwecht. 
Gemeinsam ist ihnen allen die Abgren zung 
der inländischen Wirksamkeit gegen- 
über dem Ausland. Wouindessen die öffent- 
lichrechtlichen Materien, Prozeßrecht, Strafrecht, 
Verwecht den Gegenstand der Abgrenzung bilden, 
da lautet die Alternative für den Staat: eigene Zust? 
  
oder mangels solcher (regelmäßig wenigstens) Untä- 
tigkeit gegenüber einem bestimmten Sachverhalt. 
Wo dagegen der Staat in der Orbnung zivilrecht- 
licher Angelegenheiten wirksam wird, da kann er 
sich nach geltendem Völkerrecht nicht mit der Fest- 
stellung begnügen, ob seine Rechtssätze Anwen- 
dung finden: auch die Anwendung des zuständigen 
Auslandsrechts gilt als eigene Angelegenheit der 
inländischen Rechtsschutzorgane. Bezeichnet man 
die Rechtssätze, welche die Grenzen staatlicher Wirk- 
samkeit bestimmen, als „Grenznormen“", sosind 
die Grenznormen des int Prozeßrechts, Straf- 
rechts, Verw#echts grundsätzlich „ein seitig", die- 
jenigen des int Zivilrechts (sie heißen auch „Kolli- 
sionsnormen") grundsätzlich „zweiseitig“; sie be- 
zeichnen die Grenzen der Anwendbarkeit auch für 
das Auslandsrecht. Nun kommt die Rechtsan- 
wendung mit den Grenzen staatlicher Betätigung 
allerdings nicht bloß in der Form in Berührung, 
daß zweifelhaft wird, ob der unmittelbare 
Gegenstand der Entscheidung inländischer Zust 
unterworfen wird: die mannigfachsten Rechtswir- 
kungen, die inländischer Hoheit unterstehen, sind 
von Voraussetzungen abhängig gemacht, darunter 
Voraussetzungen aus dem Bereich des Zivilrechts, 
Prozeßrechts, VerwzRechts, und es kann für solche 
Vorfragen der Zweifel auftauchen, von 
welcher Seite sie ihre rechtliche Ordnung empfan- 
gen. An „vrechtskräftige“ Urteile des Auslands 
knüpfen sich Rechtsfolgen für das Zivilrecht und 
Strafrecht des Inlands; die Kirchensteuerpflicht 
des Zugewanderten ist von seinem Bekenntnis ab- 
hängig und dies von der Gültigkeit eines vordem 
vollzogenen Austritts — für solche Vorfragen 
kann, auch wenn sie dem öffentlichen Recht ange- 
hören, die Anwendung ausländischer Ordnung im 
Inland erforderlich werden. 
Hingegen bedeutet das Is nicht einen 
Sammeldplatz, der alles dasjenige vereinigt, was 
innerhalb des staatlichen Rechts Beziehung zu Aus- 
landl#) und Ausländern hat. Es ist verschieden von 
int gleichem materiellem Recht der Staaten. Es 
umfaßt nicht die Einwirkungen des Völkerrechts 
auf das materielle Recht. Insbesondere auch nicht 
das „Fremdenrecht“: sachliche Unterscheidungen 
innerhalb des materiellen Rechts, je nach- 
dem an einem Rechtsverhältnis Inländer oder 
Ausländer beteiligt sind (Zulassung zum Grund- 
erwerb; zum Armenrecht; Retorsion), oder auch 
örtliche Beziehungen zwischen Inland oder Aus- 
land vorliegen (Fristen der Wechselregreßverjäh- 
rung; Invalidenrente des im Ausland sich Auf- 
haltenden). 
Das I#ln ist positives Recht der ein- 
zelnen Staaten. Es gibt in weitem 
Umfang übereinstimmendes IU#lt der einzel- 
nen Staaten; zur rechtlichen Einheit wird 
es durch diese Uebereinstimmung nicht zu- 
sammengefaßt. Das Völkerrecht (als der Wille der 
Staatengemeinschaft) greift an einzelnen Punkten 
in seinen Bestand ein, wie völkerrechtliche Einwir- 
kungen auch bei anderen Zweigen der staatlichen 
Rechtsordnung vorkommen. Ein gemeinsamer 
Wille der Staaten, der jeder einzelnen Rechtsein- 
richtung ihre örtlichen Grenzen setzte, besteht nicht. 
Insbesondere kann eine solche Grenzziehung auch 
nicht aus den völkerrechtlichen Begriffen der Per- 
sonalhoheit und der Gebietshoheit (Zitelmann) 
herausentwickelt werden: das Völkerrecht besagt 
  
  
  
  
  
 
	        
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