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Irrenwesen
jährlich einmal vorzunehmende unvermutete Nach-
schau aller öffentlichen Instalten durch einen
Kommissär des Ministeriums unter Mitwirkung
eines Medizinalreferenten vorgeschrieben. Im
übrigen sind für die staatlichen Anstalten bindende
Vorschriften über eine besondere Beaufsichtigung
nicht bekannt.
Anders mit den Privat Ilnnstalten, für die
eine geregelte Aufsicht unerläßlich und auch in
allen Einzelstaaten durchgeführt ist. In Preußen
erfolgt die Beaufsichtigung (Min E v. 11. 5. 96)
durch besondere „Besuchskommissionen“, deren
je eine für einen Reg Bezirk, bestehend aus einem
höheren VerwBeamten, dem Reg= und Medizi-
nalrat und dem Direktor einer öffentlichen JAn-
stalt gebildet wird, und die nach einer Anweisung
jede Privatanstalt in der Regel einmal jährlich
unter Zuziehung des Kreisarztes unvermutet zu
besichtigen und über vorgefundene Uebelstände
Abstellungsmaßnahmen vorzuschlagen hat. Außer-
dem ist der Kreisarzt verpflichtet, jede Privat-
Innstalt jährlich zweimal zu besichtigen (Min E
v. 26. 3. 01).
In den andern Staaten bestehen keine derarti-
gen Besuchskommissionen, eine Beaufsichtigung
findet indes durch die Behörden und beamteten
Aerzte statt. So müssen in Bayern die Anstalten
jährlich öfter durch die Distriktspolizeibehörde in
Gemeinschaft mit dem Bezirksarzt visitiert werden,
außerdem periodische Besichtigungen durch den
Kreismedizinalrat, möglichst unter Zuziehung
eines erfahrenen Jürztes stattfinden (Min E v.
1. 1. 95). In Sachsen hat die Amtshauptmann-
schaft bezw. der Stadtrat mit dem Bezirksarzt
die Aufsicht; letzterer hat auch regelmäßige Revi-
sionen vorzunehmen (Min E v. 22. 12. 04). In
Baden werden die Anstalten jährlich mindestens
einmal durch einen Kommissär des Ministeriums
unter Mitwirkung eines Medizinalreferenten und
unter Zuziehung des Bezirksarztes einer unver-
muteten Nachschau unterzogen; außerdem unter-
liegen sie der Beaufsichtigung durch den Be-
zirksarzt.
g 3. Aufnahme in die Frrenanstalten.
1. Als Grund zur Aufnahme in die Jlnstalt
gilt nicht das bloße Vorliegen einer Geistesstörung;
es muß außerdem noch durch ärztliches Zeugnis
nachgewiesen werden, daß entweder die häusliche
Pflege unzureichend (§ö) ist oder Gemeingefährlich-
keit vorliegt. Der Begriff des Mangels häuslicher
Pflege ist hierbei etwas weiter zu fassen, da erfah-
rungsgemäß die beste Familienpflege häufig die
geordnete Anstaltspflege nicht ersetzen kann.
Gemeingefährlichkeit ist dann anzunehmen, wenn
der Kranke die öffentliche Ruhe, Sicherheit und
Ordnung erheblich stört oder einzelne Personen
gefährdet, auch wenn er sich selbst gefährlich wird.
Dabei genügt es, daß nach ärztlichem Ermessen
solche Störungen und Gefahren dringend zu er-
warten sind. Auch wird verschiedentlich eine Ge-
meinge fährlichkeit in dem Umstand erblickt, daß der
Kranke so unreinlich ist, daß dessen Pflege lästig
und störend für die Umgebung wird.
Aus diesen Gründen kann eine zwangs-
weise Ueberführung in die Jlnstalt erfolgen.
Außerdem kann die Aufnahme in eine Jnstalt
bei gewissen Formen von seelischen Störungen
(Morphium-, Trunksucht u. a.) sich als zweck-
mäßig erweisen; sie ist dann jedoch nur mit Zu-
stimmung der Kranken selbst zulässig („freiwillige
Pensionäre“).
2. Das Aufnahmeverfahren ist nichtreichsge-
setzlich geregelt — bis auf den einen Fall, daß das
Gericht nach § 81 St P einen Angeschuldigten
einer öffentlichen JInstalt zur Beobachtung seines
Geisteszustandes (auf höchstens 6 Wochen) über-
weist — und weicht in den einzelnen Staaten
und selbst in den Anstalten desselben Landes mehr
oder weniger ab. Vor allem unterscheidet sich dies
srrkahren bei den öffentlichen und privaten In-
alten.
a) Zur Aufnahme in öffentlichen Anstalten
ist in Preußen ein Antrag der Angehörigen bei
der Ortspolizei zu stellen. Diese veranlaßt den zu-
ständigen Kreisarzt zur Untersuchung und Aus-
stellung eines Gutachtens (nach einem Fragebogen)
und schickt das Attest mit dem Antrag der Provin-
zialverwaltung oder der Direktion der betreffenden
Anstalt ein. Von hier wird über die Aufnahme
entschieden. In einzelnen Provinzen ist auch das
Attest jedes praktischen Arztes gültig. Das Ver-
fahren ist zum Schaden für den Kranken recht
umständlich und zeitraubend. Eine Beschleunigung
durch telegraphische Anfrage bei der Anstaltsleitung
ist nur in einzelnen Provinzen angängig.
In Bayern ist die Aufnahme in die Jn-
stalt nach dem Min E v. 1. 1. 95 geordnet; hier-
nach wird für die Aufnahme in die öffentlichen
(Kreis-)JAnstalten außer dem bezirksärztlichen
Gutachten eine persönliche Information seitens
der Distriktsbehörde, grundsätzlich auch die Ein-
vernahme des gesetzlichen Vertreters und des be-
handelnden Arztes gefordert. Das ärztliche Gut-
achten ist ausnahmslos auf Grund einer persön-
lichen Untersuchung des Kranken zu erstatten.
Gemeingefährliche GKr können von der PolBe-
hörde auf Grund eines amtsärztlichen Gutachtens
in einer Instalt oder in sonstiger Verwahrung un-
tergebracht werden (PolSt GB a 80, Abfs 2).
In Baden wird die Aufnahme abhängig ge-
macht von dem an das Bezirksamt zu richtenden
Antrag, der durch das nach einem bestimmten
Muster auszustellende Zeugnis eines Arztes be-
gründet wird. In Zweifelsfällen ist der Bezirks-
arzt gutachtlich zu hören, wenn nötig nach vor-
heriger Untersuchung des Kranken. In dringenden
Fällen kann auch ohne Antrag der Angehörigen
die Aufnahme erfolgen, wenn der Bezirksarzt oder
ein Arzt einer öffentlichen JInstalt, bei Ge-
fangenen auch der Gefängnisarzt, bei Militärper-
sonen der zuständige Militärarzt die Notwendig-
keit bescheinigt.
b) Die Aufnahme in Privat Instalten ist in
Preußengenau und einheitlich durch den Min E
v. 26. 3. 01 geregelt. Es wird erfordert das Zeug-
nis mit bestimmten Angaben seitens des Kreis-
argtes oder Gerichtsarztes oder des ärztlichen Lei-
ters einer öffentlichen Anstalt für GKr oder einer
psychiatrischen Universitätsklinik. Bei bereits Ent-
mündigten genügt das Zeugnis eines Arztes nebst
Antrag des Vormunds. In dringenden Fällen
kann die Aufnahme auf Grund eines von einem
Arzt ausgestellten Zeugnisses erfolgen; es muß
aber dann der Kreisarzt alsbald benachrichtigt wer-
den und eine Untersuchung des Kranken vorneh-
men. Bei Uebernahme eines Kranken aus einer
anderen Anstalt sind die nötigen Unterlagen vor-
zulegen. Von jeder Aufnahme ist die Ortspolizei-