Jesuitengesetz
473
weitert durch die Zulässigkeit der Internierung
(aber ohne Prozeß und Verurteilung nach freiem
Befinden der Verwaltung).
d) Das ZG. ist eine lex imperfecta. Rechts-
folgen für Zuwiderhandlungen nach Art des g 361
Nr. 1—2 StG#B sind nicht angedroht !) und auch
später nicht durch Landesgesetze und Verordnun-
gen ausgesprochen; auch ist nicht gesagt, welche
ätigkeit insbesondere verboten ist, und sind die
Bestimmungen über die „Verwandtschaft“ aus-
gesetzt. Bezüglich aller dieser Punkte erhielt der
Bdas Verordnungsrecht, indem ihm die Aufgabe
zugewiesen wurde, „die zur Ausführung und zur
Sicherstellung des Vollzugs dieses Gesetzes erfor-
derlichen Anordnungen" zu erlassen (unten §## 3).
z 3. Die bundesrätlichen Bekanntmachungen
vom 5. 7. 72 und 20. ö. 73 (REl 1872 S 254
und 1873 S 109) haben in Ausführung der vor-
bezeichneten Bestimmung einzelne Betätigungen
der J. besonders verboten und den Kreis ihrer
Verwandten (vorläufig) abgesteckt. Hiernach sind
als verwandt erklärt: die Redemptoristen,
Priester vom heil. Geist, Lazaristen und die
Schwestern vom heil. Herzen Jefu. Doch wurden
durch Bek des RK v. 18. 7. 94 (RGl 503) die
Redemptoristen und Priester vom heil. Geiste
wieder freigegeben. Verboten wurde durch die
zit. Bek v. 1872 Ziff. 1 den J „die Ausübung
einer Ordenstätigkeit, insbeson-
dere in Kirche und Schule, sowie
die Abhaltung von Missionen“.
Diese Bek ist rechtsgültig (OVG 37, 432).
Was aber ist eine Ordenstätigkeit? Darüber
hat bedauerlicher Weise der B bis jetzt noch
nichts verlauten lassen.
Die zit. Bekanntmachung sagt: „Die zur Voll-
ziehung des Gesetzes in den einzelnen Fällen zu-
treffenden Anordnungen werden von den Landes-
PolBehörden verfügt"“.
Vollziehung ist ohne Auslegung nicht denkbar;
und die Landesministerien können hiernach auch
die Auslegungsgrundsätze aufstellen, nach welchen
die Entscheidung der Unterbehörden im einzelnen
Fall erfolgen soll. Aber die Auslegung und Durch-
führung im Reich muß natürlich einheitlich sein
und die Ministerien sind dem Reich für ihre Aus-
legung verantwortlich. Aus § 3 des JG. ergibt
sich das Recht und die Pflicht des BR, die Rechts-
gleichheit durch entsprechende Anordnungen zu
sichern. Auch kommen die allgemeinen Bestim-
mungen der RV in Betracht, nach welchen die
„Ueberwachung"“ der Ausführung dem Kaiser
resp. dem Rä obliegt (a 17), der bei nicht zu be-
seitigenden „Mängeln“, welche bei der Ausfüh-
1) Der im Reichstag (St Ber S 1062, 1070) und auch in
der Literatur, beispielsweise von Friedverg, Die Grenzen
zwischen Staat und Kirche 795, und Falck 49 f# (val. auch die
hier Zitierten) vertretenen Aufsassung, ald seien die Straf-
bestimmungen des 1 128 RStCB auf die J. anwendbar,
kann nicht beigetreten werden, weil der J. dem Besehl des
Oberen, der eine Sünde enthält, nicht zu folgen verpflichtet
ist. (So auch Hinschius, Orden 107 und Allgemeine Dar-
stellung der Verhältnisse von Staat und Kirche in Mar-
quardsens OB 1 1, 313°, sowie Giese 231280] A. 7.) Die ent-
degengesetzt Auffassung beruht zum Teil auf unrichtiger Ueber-
setzung der Statuten: obligure ad peccatum, das nicht
heißt: verpflichtet zu einer Sünde, sondern verpflichtet
unter oder bei einer Sünde. Vgl. Duhr, IFabeln 203 ff.
rung der Reichsgesetze oder BRBek hervortreten,
einen Beschluß des B herbeizuführen hat.
Was ist nun nach den Verordnungen der Einzel-
staaten als Ordenstätigkeit anzusehen?
In der 1. Aufl. dieses Wörterbuchs 1, 669
heißt es: „Der Begriff der Ordenstätigkeit ist dem
Zwecke des Ordens und seiner Statuten zu ent-
nehmen. Darnach ist vor allem das Predigen und
Beichthören — außer in articulo mortis — ver-
boten, desgleichen jede sonstige Aushilfe in der
Seelsorge. Wohl aber ist gestattet, was der Or-
densmann, wie jeder Geistliche, der ohne Amt
oder zureichenden Auftrag ist, bloß in Erfüllung
der jedem Priester obliegenden Pflichten tut.
Hierher gehört das Lesen stiller Messen und das
Spenden der Sterbesakramente.“
Das kann aufrechterhalten werden.
Nach der preußischen MinE v. 28. 9. 72
ist „allgemein jede priesterliche und seelsorgerliche
Tätigkeit des Ordens als unter das Verbot der
Ausf. V v. 5. 7. d. J. fallend zu betrachten, dem
Orden daher unbedingt namentlich das Predigen,
die Abhörung der Beichte, die Erteilung der Ab-
solution, die Lesung der Messe und Verwaltung
der Sakramente, desgleichen die Leitung von
Kongregationen und Exerzitien zu untersagen“.
Das preuß. OV# (37, 437 fh sieht auch in religiös-
wissenschaftlichen Vorträgen der J. eine Ordens-
tätigkeit.
In Bayern wurde ebenfalls ausdrücklich
anerkannt, daß das Lesen stiller Messen und das
Spenden der Sterbesakramente nicht unter die
verbotene Ordenstätigkeit fällt (Kultus Min v. Lutz
in den Vhdl der K. d. Abg. 1887/88 Stenogr. 2, 6).
Noch eine, übrigens nur an die oberb. Kreis Reg
ergangene, Min E v. 4. 8. 11 stellte fest, daß den
J. auch verboten sei, religiöse Vorträge in den
Kirchen zu halten". Dann heißt es weiter: „Hin-
sichtlich der Frage, welche Grenzen der Tätigkeit
der Gesellschaft Jesu durch Ziff 1 der BRBek v.
5. 7. 72 gezogen sind, wurde in Bayern in Ueber-
einstimmung mit der Praxis der
übrigen größeren Bundesstaaten
stets davon ausgegangen, daß lediglich das
Lesen einer stillen Messe und die Abhaltung von
wissenschaftlichen oder religiösen Vorträgen außer-
halb kirchlicher Räume als erlaubt anzusohen sind,
daß deswegen — von Notfällen abgesehen — jede
seelsorgerliche Tätigkeit, namentlich auch die Ab-
haltung von Exerzitien und die Uebernahme reli-
giöser Vorträge in Kirchen in das Gebict der
verbotenen Ordenstätigkeit fallen.“
Auch der Staatsminister Frhr. v. Hertling stellte anläß-
lich der Interpellation über den baver. JEerlaß am
1. ö. 12 in der K. d. Abg. fest, daß dieser Augusterlaß tatsächlich
die Aufssassung wiedergab, „wie sie nali) den Ministerial-.
akten seit dem Bestehen des JGesetzes in den allerdings
nicht sehr zahlreichen Fallen, die der Kognition des Min.
unterstellt wurden, beobachtet worden ist“ (Vhdl 2, 11 f.)
In der RISitzung am 26. 4. 12 erklärte auch der
der R v. Bethmann, Hollweg, daß trotz des Fehlens einer
gesetzlichen Definition der „Crdenstätigkeit“ bis auf die
neueste Zeit in sämtlichen Bundestaaten die Auslegung des
Gesetzes im wesentlichen eine gleiche war (Sten Ber S 1440.)
Darnach, so s#ellte der Reichskanzler sest, „hat man jede
Art der seelsorgerischen Tätigkeit, jede Art von priesterlichen
Funktionen ale Akie der Crdenstätigkeit betrachtet und nur
das Lesen sog. Primizmessen als zulässig angesehen, soweit
sie den Charakter einer Familienseier tragen; weiter hat