Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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In Tsingtau ist für die in Ostasien wohnhaften 
Deutschen eine Prüfungskommission für Einjährig- 
Freiwillige (vgl. Amtsbl. 1910 S. 259). Zur 
Kontrolle der Wehrpflichtigen gemäß § 106 
Z. 7 der Wehr O besteht beim Gouvernement die 
„Meldestelle für den Militärdienst“ (vgl. die jähr- 
lichen Bekanntmachungen dieser Stelle im Amts- 
blatt). 
Die K. Besatzung (Organisatorische Bestim- 
mungen: Kab O v. 3. 5. 02 — mehrfach geändert 
— v. 31. 5. 05 und 6. 4. 07, sämtlich abgedruckt 
im MVBlbezw. K Verordn Bl) bilden: das III. See- 
bataillon (dem das in Tientsin und Peking lie- 
gende „Ostasiatische Marine-Detachement“ ange- 
gliedert ist), die Matrosen-Artillerie-Abteilung 
(Küsten-Artilleric), das Artillerie-Depot, das Mi- 
nen-Depot und die Fortifikation. 
Für die Militärgerichtsbarkeit gilt das G betr. 
die militärische Strafrechtspflege im K.G v. 
25. 6. 00 (RGBl 304), dessen Gültigkeit durch G 
v. 21 12. 05 (Rol 793) bis 1. 1. 12 verlängert 
war und neuerdings durch G v. 16. 12. 11 
(Röanl S 974) bis zum 1. 1. 18 ausgedehnt 
ist. Danach finden die in der Militärstrafgerichts- 
ordnung für das Verhältnis „an Bord“ gegebenen. 
Vorschriften Anwendung (also keine Rechtsmittel 
gegen Urteile, sondern Bestätigungsverfahren 
gemäß §§ 419—435 MSt GO). Gerichtsherr der 
höheren Gerichtsbarkeit mit den Befugnissen des 
kommandierenden Admirals ist der Gouverneur; 
das Gericht führt die Bezeichnung: „Gericht des 
Gouvernements von Kiautschou“. Gerichtsherren 
der niederen Gerichtsbarkeit sind die Komman- 
deure der Matrosen-Artillerie-Abteilung und des 
III. Seebataillons; der Gouverneur ist zur Auf- 
hebung bordstandgerichtlicher Urteile befugt (Aller- 
höchster Befehl v. 28. 5. 00). — Die Geschäfte der 
Kriegsgerichtsräte werden von den Richtern der 
Zivilgerichte nebenamtlich wahrgenommen. 
§5 7. Rechtspflege. 
I. Allgemeines. Es bestehen verschiedene 
Einrichtungen: für Chinesen (einschl. der ihnen 
gleichgestellten Farbigen) vgl. ZS. III, für an- 
dere (hier kurz Europäer genannt, obgleich 
nicht nur Amerikaner, Australier und Japaner, 
sondern überhaupt alle nicht unter die vor- 
stehende Kategorie fallenden Personen umfassend) 
vgl. Z. II. Die Trennung zwischen Rechts- 
pflege und Verwaltung ist nur auf dem Gebiete der 
Europäer-Justiz bis zu einem gewissen Grade durch- 
geführt. In Abweichung von der in den anderen 
Sch G geltenden Bestimmungen ist nach der vom 
Reichskanzler erlassenen DAnw für die Aus- 
Übung der Gerichtsbarkeit v. 23. 10.07 (K. VBl 27) 
die Dienstaufsicht über die Rechtspflege und die 
Entscheidung über Beschwerden gegen richterliche 
Beamte dem Reichskanzler (Reichs-Marine= 
Amt) vorbehalten. Die Richter beschließen selbst 
unter Vorsitz des Oberrichters über die Ge- 
schäftsverteilung; für einen verhinderten Richter 
bestellt in dringlichen Fällen der Oberrichter einen 
Vertreter; durch ihn geschieht auch die Zulassung 
zur Rechtsanwaltschaft und deren Zurücknahme. 
Dagegen erfolgt die Verwaltung der Etatsmittel 
der Gerichte und des Gerichtsgesängnisses sowie 
die Führung der damit zusammenhängenden Ver- 
waltungsgeschäfte durch den Oberrichter unter 
Aussicht des Gouverneurs. Die ausschließlich mit 
der Chinesengerichtsbarkeit befaßten Bezirksamt- 
  
Kiautschon 
männer unterstehen auch in ihren richterlichen 
Funktionen der Dienstaufsicht des Gouverneurs. 
II. Europäer--Gerichtsbarkeit. 
a) Gerichtsbehörden sind (beide mit 
dem Sitz in Tsingtauy) für die erste Instanz: das 
Gericht von K. (mit 3 Abtcilungen), für die zweite 
Instanz das Obergericht von K. (an Stelle des 
Reichsgerichts gemäß § 6 Nr. 6 Schutzgeb G errich- 
tet durch K. V v. 28.9. 07, RGBl 753, früher war 
das Konsulargericht in Shanghai zuständig). Von- 
der Möglichkeit, Richter und Gerichtsschreiber anzu- 
stellen, die nicht in einem Bundesstaate die Quali- 
fikation für ihre Aemter erworben haben, hat die 
Zentralverwaltung bislang keinen Gebrauch ge- 
macht. Nach # 49 des Kolonialbeamtengesetzes 
vom 8. 6. 10 ist jetzt für die Anstellung als etats- 
mäßiger Schutzgebietsrichter die Erlangung der 
Fähigkeit zum Richteramte in einem Bundes- 
staate Vorbedingung. 
Bei der Auswahl der Beisitzer ist der Oberrichter 
auf deutsche Reichsangehörige beschränkt (§ 4 der 
DAnw; abweichend in den anderen Sch GMh). Die 
Hauptverhandlung in Strassachen findet stets 
unter Zuziehung von Beisitzern statt (§ 6 der 
Kaiserl. V v. 9. 11.00; für die anderen Sch G sind 
für minder schwere Sachen Ausnahmen zugelas- 
en). 
b) Andere Organe der Rechts- 
pflege. 1. Für die Mitwirkung der StaatsO 
an waltschaft gelten die gleichen Grund- 
sätze, wie in den anderen Sch G. — 2. Die Stel- 
lung der Rechtsanwälte ist geregelt durch 
die Bek. des Oberrichters betr. die Voraussetzungen 
der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei den Ge- 
richten des K.G# und deren Zurücknahme v. 
24. 1. 08 (ABl 53). In der Regel werden nur 
zum Richteramte in einem Bundesstaate befähigte 
deutsche Reichsangehörige zugelassen. — 3. Die 
Notare unterstehen der Dienstaufsicht des 
Oberrichters (V des RK v. 18. 2. 03; K. VBl IX). 
Durch die DAnw v. 3. 5. 03 (K.V BBl XXI) sind 
ihre Rechte und Pflichten in Anlehnung an die 
in Preußen geltenden Bestimmungen normiert. 
— 4. Mit den Geschäften des Gerichts- 
vollziehers beauftragt der Oberrichter einen 
der ihm unterstellten Beamten (§7 DAnw v. 
23. 10. 07). — 5. Die Funktionen des Schieds- 
mannes sind für die Vornahme des Sühne- 
versuches bei Beleidigungen dem Oberrichter 
übertragen. Verfahren ähnlich wie in Preußen 
(5* 8 DAnw). 
c) Besonderheiten des Verord- 
mungsrechts. 1. Auf das gerichtliche Re- 
gisterwesen (Güterrechts-, Handels-, Genossen- 
schafts= und Seeschiffsregister) sind durch V des 
Gouverncurs v. 4. 8. 03 (K. VBl XXX) die preu- 
ßischen Bestimmungen für sinnentsprechend an- 
wendbar erklärt. — 2. Für die gerichtlichen Zu- 
stellungen und Zwangsvollstreckungen sowie das 
gerichtliche Kostenwesen gelten die einfacheren 
Bestimmungen der V des Gouverneurs v. 21. 
6. 04 (K.VBl 16). Die Kosten betragen in K. 
ebensoviel mexikanische Dollar und Cents, wie sie 
in Preußen Mark und Pfennig betragen würden. 
III. Die Chinesen-Gerichtsbarkeit wird 
ausgeübt auf Grund der V des Gouverneurs betr. 
die Rechtsverhältnisse der Chinesen v. 15. 4. 99. 
Sie findet keine Anwendung, wenn bei einer straf- 
baren Handlung oder einem bürgerlichen Rechts-
	        
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