Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Konkordate 
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dem Papst, als kirchlichem Oberhaupte der katho- 
lischen Staatsangehörigen, über Angelegenheiten 
von gemeinsamem Interesse abgeschlossen werden. 
Wesentlich für den Begriff ist Abschluß der 
Vereinbarung mit dem Papste. Auch ein 
Landesbischof kann zwar mit seiner Staats- 
regierung über kirchliche Verhältnisse Abkommen 
treffen. Derartige Verabredungen zwischen der 
souveränen Staatsgewalt und einem Untertan 
nehmen aber an den rechtlichen Besonderheiten 
der K. nicht teil. Dahin gehört z. B. die vielbe- 
rufene „Vorläufige Uebereinkunft“ zwischen der 
großherzoglich hessischen Regierung und dem Bi- 
schofe von Mainz wegen Regelung der Verhältnisse 
des Staates zur katholischen Kirche v. 23. 8. 54. 
Auf die Konfession des Landes oder des 
Landesherrn kommt es nicht an. K. werden von 
der römischen Kurie mit katholischen, wie mit 
akatholischen (protestantischen) Staaten, d. h. 
  
nach römischem Sprachgebrauche mit solchen 
Jahrhunderts. Sie entspricht der im Völkerrecht 
Staaten abgeschlossen, deren Regierung in der 
Hand eines nichtkatholischen Staatsoberhauptes 
liegt (regiones. quibus dominantur pFrincipes 
acatholici). Belege dafür bilden das niederlän- 
dische K. von 1827, das württembergische von 1857, 
rechts an. Rechtlich steht übrigens der Ausfertigung 
eines solennen Vertragsinstruments die Unter- 
das badische von 1859. 
Ebensowenig bestehen Schranken hinsichtlich 
des Inhalts. Die älteren K. behandelten 
mehr einzelne Rechts= und Streitfragen, z. B. die 
Besetzung der bischöflichen Stühle (Wormser K. 
von 1122), die reformatio in capite et in membris 
(Fürsten K. von 1447). Dagegen suchen die neueren 
das gesamte Verhältnis zwischen Staat und Kirche . 
nach allen Richtungen hin prinzipiell zu regeln. 
proklamierte: Superiorität der Kirche 
Den Haupttypus hierfür bildet das österreichische 
K. von 1855 mit zahlreichen Stipulationen wegen 
freier Ausübung der bischöflichen Jurisdiktion, 
freier Ausdehnung des kirchlichen Güterbesitzes, 
freier Handhabung der kirchlichen Zensur, freier 
Entfaltung des kirchlichen Ordenswesens, Auf- 
hebung des staatlichen Plazets, Auslieferung der 
Schule an den Klerus, des niederen Klerus an die 
bischöfliche Disziplinargewalt und des ganzen Che- 
rechts an die geistlichen Gerichte. Die kirchlichen 
Zugeständnisse betreffen die Besetzung der bischöf- 
lichen Stühle, der Domkapitel und Pfarreien. 
Auch der Name „Konkordat“" kann sehlen. Die 
K. des 19. Jahrhunderts bezeichnen sich regelmäßig als 
Conventiones. So schon das franz. K. von 1801, 
  
auch das bayer. K. von 1817, das württ. K. von 1857 und 
das bad. K. von 1859. — Im Ausgange des Mittelalters 
wurde der Name Concordatum für alle Arten von 
Verträgen gebraucht. Aufang des 15. Jahrhunderts ist er 
speziell für Vereinbarungen zwischen kirchlichen Macht- 
saktoren üblich, 3. B. auf dem Konstanzer Konzil, wo die 
„Capitula Concordata“ von 1418 zwischen Papst Martin V. 
und den nationalen Konzilsfraktionen abgeschlossen wurden. 
Erst seit Mitte des 15. Jahrhunderts kommt der Ausdruck 
K. technisch für Vereinbarungen zwischen Staat und 
Kirche vor. 
§s 2. Form. Die K. treten in drei verschiedenen 
Formen auf: 
1. Das Uebereinkommen ist einseitig 
durch einen kirchlichen Erlaß (Bulle 
oder Breve) verbrieft und veröffentlicht, aber unter 
ausdrücklicher Bezugnahme auf die vorausge- 
gangenen gemeinsamen Verhandlungen. In dieser 
De Luca, 
Weise sind die deutschen Fürsten K. von 1447 zwi- 
schen Papst Eugen IV. und mehreren deutschen 
Landesherren mittelst dreier Bullen und eines 
Breves instrumentiert. (Nos in pracfatorum Regis 
et principum hoc petentium complacentiam 
tenore praesentium promittimus.) 
2. Das Uebereinkommen ist in zwei, 
äußerlich voneinander unabhängige 
Schriftstücke zerlegt: einen kirchlichen 
Erlaß, welcher die kirchlichen, und einen st aat- 
lichen Erlaß, welcher die staatlichen Zugeständ- 
nisse enthält. Diese Form zeigt das Wormser K. 
von 1122, abgeschlossen zwischen Papst Calixtus II. 
und Kaiser Heinrich V. (Privilegium Calixti papae 
secundi. Pracceptum Heinrici quinti impera- 
toris.) 
3. Das Uebereinkommen ist vermittelst einer ge- 
meinsamen, von beiden Teilen 
vollzogenen Urkunde verlautbart. Das 
ist die Form des Wiener K. von 1448, des fran- 
zösischen K. von 1801 und fast aller weiteren 
Vereinbarungen mit Rom im Laufe des jetzigen 
hergebrachten Instrumentierung von internatio- 
nalen Verträgen und lehnt sich, wie z. B. der 
Eingang des württ. K. von 1857 zeigt, genau an 
die Gepflogenheiten des internationalen Vertrags- 
zeichnung eines bloßen Protokolls oder ein gegen- 
seitiger Notenaustausch mit force de traité gleich. 
# 3. Rechtliche Natur. I. Ueber die rechtliche 
Natur der K. herrscht von alters her Streit. Drei 
Ansichten stehen sich noch heute schroff gegenüber. 
1. Ausgangspunkt der sog. Privilegien- 
theorie ist die von der Bulle Unam sanctam 
(domina) über den Staat (aneilla). Der Staat 
steht darnach nicht nur innerhalb der Kirche, son- 
dern der letzteren gebührt die Einsetzung und das 
Richteramt über alle weltliche Gewalt. Deshalb 
kann eine Vereinbarung zwischen beiden immer 
nur den Erfolg haben, den Staat zu binden, wäh- 
rend die Kirche auf Grund ihres göttlichen Ober- 
hoheitsrechts von einer Verpflichtung im juristischen 
Sinne frei bleibt. Verträge zwischen Haupt und 
Gliedern sind eben unmöglich. Die in den K. 
enthaltenen Zugeständnisse des Papstes erweisen 
sich mithin als widerrufliche Gnaden 
(Indulte), während die Zusagen der Landesregie- 
rung den Staat vertragsmäßig binden. Von 
diesem Standpunkte aus, auf welchen die Kirche 
auch noch heute zurückgeht, schreibt die ultramon- 
tane Doktrin den K. nur aliguamvim pacti, 
speciem contractus zu. Seine zivilistische 
Konstruktion erhält das Zwischenverhältuis mit 
dem Namen negotium ex Pacto ct privilegio mix- 
tum. 
Neuere Vertreter der Privilegientheorie sind: der Kar- 
dinal Tarquini (8. J.), Institt. jzur. eccles. publ. Rom. 
62; I.iberatore (S. J.), I.a chiesa e 10 stato. Nap. 
18; Palmieri (S. J.), De Ro. Pontilice. Rom. 1877; 
M. de Bonald, Deux duestions sur le concord. de 
1801. Gen. 1871; Kreutz wald im (kathel.) Staatslerik. 
1889, 1, 1502. Außerdem gehören hierher die sog. Pseudo- 
regalisten (Scheinvertreter der Vertragstheoric). Labis, 
Revue cathol. Lov. 1872; De Angelis Praelectt. 
jur. can. Rom. 1877, 1, 93 (ähnlich die römischen Kurialisten 
Solieri, Wernz); Fink, De con- 
cord. Lov. 1879, 116; Moulart, Liélisc et L’état, 
1879 (Deutsch von Houben, 1881, 589); v. Hammer-
	        
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