Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Landesgrenze (Aenderungen) 
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auch wird durch Naturereignisse die GLinie betrof- 
fen (An- und Abschwemmungen, Aenderungen des 
Flußlaufs, Dünenwanderung, Erdbeben): bald 
wird sie dadurch „geändert“, namentlich als SeeG 
oder wo ein Fluß in seinem jeweiligen Laufe die 
G bilden sollte; meist indes nur „verdunkelt“. 
Eine Verdunkelung (Verwirrung) der G droht 
oder ist erfolgt durch Beseitigung der Gzeichen, 
jedoch auch durch Unklarheiten aus ungenauer 
Karte oder Beschreibung. Sie wird behoben durch 
Grenz-Feststellung — deklaratorisch. Als 
Richtschnur hierbei kann immerhin § 920 BGB 
dienen: möglichst Ermittlung der richtigen G, 
Besitzstand, Halbierung der Streitfläche, letztens 
Teilung nach Billigkeit unter Berücksichtigung der 
Umstände, d. i. hier der politisch-militärischen, 
national-ethnischen, des Strebens nach natürlichen 
Grenzen usw. 
Für Grenzstreitigkeiten bietet sich 
als Mittel zur Erledigung besonders das schieds- 
gerichtliche Verfahren (Schiedsspruch des Königs 
von Spanien in dem Streit zwischen Deutschland 
und Großbritannien wegen der Walfischbai v. 
23. 5. 11, KBl Nr. 24 S927—965, Streit um das 
„Meerauge“ zwischen Oesterreich und Ungarn, 
Spruch v. 13. 9. 02; allgemein noch der russische 
Entwurf für das Schiedswesen auf der I. Haager 
Konferenz, bei Meurer, Die Haager Friedenskon- 
ferenz 1, 167). Zwischen den Gliedstaaten des 
Reiches ist a 76 Abs 1 RV anwendbar und schon 
angewendet (Seydel RV 2, 407). In den V. St. 
v. Amerika ist hierfür das oberste Bundesgericht 
zuständig. 
Unter „Grenzregulierung“ wird man die 
Summe der Maßnahmen zu verstehen haben, 
mögen sie nun dazu dienen, die ursprüngliche 
GLinie klarzulegen (deklaratorisch) oder auch eine 
geänderte GLinie zu bestimmen (konstitutiv). 
Die Terminologie entbehrt noch der wünschens- 
werten Festigkeit (vgl. II 1). 
II. Grenzänderungen fsind staats- 
rechtlich in Deutschland in verschiedenem Maße 
an Mitwirkung der Volksvertretung 
oder an ein Zusammenstimmen von Reich und 
Einzelstaat geknüpft. 
1. Grenzen der Gliedstaaten im 
allgemeinen. Soweit die Verfassungen Be- 
stimmungen treffen (sie fehlen bei Sachsen-Wei- 
mar und Lippe, zweifelhaft für Lübeck und Bre- 
men), gelten sie nur für eine GVerschiebung durch 
Gebiets abtretung, wie in der häufigen 
Fassung, daß der Staat ein Ganzes bilde (Hessen) 
oder unteilbar sei (Bayern, Baden). Die GVer- 
änderung schlechthin, also auch Gebiets erwerb, 
bessen Preußen, Reuß j. L. und Schaumburg- 
ippe. 
a) Von den GAenderungen im eigentlichen Sinne 
wird man aber hier die bloßen „Grenzberichti- 
gungen“ unterscheiden müssen. Sie sind in 
einzelnen Verfassungen ausdrücklich erwähnt: 
Bayern, Sachsen, Oldenburg, Braunschweig, 
beide Reuß; Waldeck als „Grenzfeststellung“; 
Anhalt und Hamburg „einfache Grenzregulie- 
rung“. Nirgends aber wird der Unterschied zu den 
„Grenzänderungen“" scharf bezeichnet. Man wird 
darunter eine Richtigstellung der G zu verstehen 
haben, die zunächst wohl nur Zweifel an der Rich- 
tigkeit des Verlaufes bei Verdunkelung oder Ver- 
wirrung der G beheben soll. Praktisch wird sich 
  
  
dies heut in engen räumlichen Schranken halten, 
für die Regel aber mit einem Gebietsaustausch zur 
zweckmäßigeren Gestaltung der G verbunden sein 
(ugl. Reuß j. L.: einzelne Stücke zur Herstellung 
einer geordneten Abgrenzung austauschen oder 
ablassen), so daß man unter „Grenzberichtigung“ 
in sachlich wohl verstandenem Sprachsinne auch 
bloß eine, vom Staats zwecke aus betrachtet, rich- 
tigere Führung durch Verschiebung der G ver- 
stehen kann, vorausgesetzt, daß sich die Gebiets- 
veränderung in verhältnismäßig engem Umfange 
hält. Solche „Grenzberichtigungen“ i. e. S. sind 
Akte der Verwaltung, auf die der in den Verfas- 
sungen für Grenzänderungen aufgestellte Apparat 
nicht gemeint ist, mag dies selbst nicht (wie in der zu- 
vorerwähnten Verfassung) gesagt sein. Wenn Sach- 
sen, Oldenburg, Waldeck und Reuß die Erleichte- 
rung nur dann zulassen, wofern un bewohnte Ge- 
genden abgetreten werden, so wird man darin 
eine begreifliche und auch anderweit anwend- 
bare Einengung der Ausnahme für „Grenzberich- 
tigungen“ erblicken dürfen, ohne daß eine andere 
Auslegung aus den besonderen Verhältnissen der 
einzelnen Verfassungen dadurch behindert würde. 
Nur Hamburg verweist auch „bloße Grenzregu- 
lierungen“ auf den Weg der Gesetzgebung. 
b) Die eigentlichen Grenzverände- 
rungen sind dort, wo die Vl selbst das Staats- 
gebiet bezeichnet, als Verfassungsänderungen zu 
behandeln (ausdrücklich Hamburg). Zum einfachen 
Gesetz ist das Erfordernis abgeschwächt in: Preu- 
ßen, Reuß j. L. Die Zustimmung des Landtags 
wird erfordert in: Sachsen, Oldenburg, Braun- 
schweig, Waldeck, Reuß ä. L., Schaumburg. Die 
einzelnen formalen Stufen des Weges der Ge- 
setzggebung sind (nur) dort geboten, wo ausdrücklich 
ein „Gesetz“ gefordert wird. Diesen Standpunkt 
nimmt nunmehr auch die preußische Praxis ein 
(Wendepunkt: Verhandl. des Herrenhauses v. 
26. 2. 77, StBer 1 153, Aktenst. Nr. 80). 
Eine Zustimmung der Bevölkerung (Plebiszit) 
ist rechtlich nicht geboten; vgl. aber die merkwürdige 
Rücksicht bei dem Gt zwischen Preußen und 
Sachsen-Altenburg v. 5. 6. 62 (E. Meier, Abschluß 
von Staatsverträgen 1874, 261) und im Prager 
Frieden v. 23. 8. 66 a 5. 
2. Reichsgrenze. Eine Veränderung der 
L, die zugleich eine Aenderung des verfassungs- 
mäßigen Reichsgebiets darstellt — nicht bloß der 
Außen G; es könnte auch die Einräumung einer 
Enklave an das Ausland sein — bedarf der Formen 
einer Aenderung der Reichsverfassung (a 78), d. i. 
ein Reichsgesetz, wie für die Vereinigung von 
Helgoland mit dem Reiche (15. 12.90, Rl 207). 
Nicht ausreichend ist ein Reichsvertrag, durch den 
ein Landesvertrag als rechtswirksam anerkannt 
wird, wie bei der Regulierung der badisch-schweize- 
rischen Gbei Konstanz (Vt v. 24. ö. 79, RGl 307). 
Ein Vertrag des Reiches mit dem Auslande er- 
scheint überhaupt nicht erforderlich; so hätte es in 
dem Falle der Verlegung der badischen L bei 
Leopoldshöhe außer dem badisch-schweizerischen 
Vt v. 21. 10. 06 (vgl. Verhandl. der bad. Stände- 
versammlung v. 6. 4. 08 Nr. 73) nur noch des 
RG v. 31. 7. 08 (RoBl 493) und nicht außerdem 
eines deutsch-schweizerischen Vi v. 29. 10. 07 
bedurft. Man pflegt das nicht auseinander zu 
halten (vgl. Laband? 1, 200 Anm. 2). 
Ob eine Aenderung der G infolge eines Krieges 
 
	        
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