714
Landesherr (Rechtsstellung)
bestehenden Rechtssätzen nicht widersprechen, ge-
bunden. Insbesondere in der preußischen
VU tritt diese verschiedene Stellung des Staats-
oberhauptes zu den verschiedenen Hauptzweigen
der Staatstätigkeit — ungeachtet der teilweise in-
korrekten Fassung der betr. Bestimmungen — deut-
lich hervor: dem Könige allein steht die vollziehende
Gewalt zu (a 45); die gesetzgebende Gewalt wird
gemeinschaftlich durch den König und durch die bei-
den Kammern ausgeübt in der Art, daß die Ueber-
einstimmung des Königs und beider Kammern zu
dem Gesetze erforderlich ist (a 62); die richterliche
Gewalt wird im Namen des Königs durch unab-
hängige, keiner anderen Autorität als der des
Gesetzes unterworfene Gerichte ausgeübt (a 86).
#s4. Insbesondere als oberstes Verwaltungs-
organu. 1. Es ist anzunehmen, daß der Monarch
im konstitutionellen Staate die ihm auf dem Ge-
biete der Gesetzgebung (mit Einschluß der sog.
Notverordnungen) zustehenden Rechte — Ini-
tiative, Sanktion, Publikationsbefehl —, abgesehen
von Fällen der Verhinderung, persönlich ausüben
soll. Dagegen ist es wenigstens nach deutschem
Staatsrecht regelmäßig dem Ermessen des
L. anheimgestellt, welche der nicht zur recht-
lichen Kompetenz einer Verwehörde gehörigen
Verwaltungshandlungen er per-
sönlich vornehmen will. Insbesondere hat die
in den Vl enthaltene Aufführung gewisser
Verwefugnisse des L. nicht die Bedeutung, daß
dieser zur persönlichen Ausübung der betr. Funk-
tionen verpflichtet und mithin eine Delegation der
letzteren ausgeschlossen sein soll. Immerhin finden
sich einzelne derartige landesrechtliche Bestim-
mungen: so erhalten z. B. nach der preuß. V v.
27. 10. 1810 alle Beamte, denen der Ratscharakter
zukommt, eine vom König persönlich zu vollziehen-
de Bestallung, und das preußische AG z. GVG
v. 24. 4. 78 5§ 7 bestimmt, daß alle Nichter, mit
Einschluß der Handelsrichter, vom König persönlich
zu ernennen sind; so ist die „Königliche Verord-
nung“, durch welche nach der preuß. StO für die
östlichen Provinzen v. 30. 5. 53 eine Stadtver-
ordnetenversammlung auf den Antrag des Staats-
ministeriums aufgelöst werden kann, jedenfalls
ein vom König persönlich vorzunehmender Akt.
In umfassenderem Maße hat das französische Recht
diejenigen Verwkte bestimmt, welche eine per-
sönliche Willensäußerung des Staatsoberhauptes
erfordern; für Elsaß-Lothringen jedoch hat das
Gv. 30. 12. 71 J§ 18 dem Kaiser die Befugnis ge-
geben, derartige Rechte durch Verordnung der
Zuständigkeit der Zentral-= oder Bezirksbehörden
zuzuweisen und durch R v. 4. 7. 79 &1 sowie
durch R v. 31. 5. 11 all 383 ist der Kaiser ermäch-
tigt worden, ihm in Elsaß-Lothringen zustehende
landesherrliche Befugnisse durch Verordnung
einem Statthalter [J zu übertragen. Nach Reichs-
recht (StPPO # 485) ist die Vollstreckung eines
Todesurteils erst dann zulässig, wenn die (persön-
liche) Entschließung des Staatsoberhauptes bezw.
des Kaisers ergangen ist, von dem Begnadigungs-
rechte keinen Gebrauch machen zu wollen. (Ueber
die Streitfrage, ob das Begnadigungsrecht über-
haupt, abgesehen von gesetzlicher Delegation und
von Fällen der Verhinderung des Staatsober-
haupts, von diesem persönlich auszuüben ist,
Begnadigung A IV.) Das Bölkerrecht
fordert, daß die Gesandten, mit Ausnahme der
Geschäftsträger, ein von dem Staatsoberhaupt
persönlich vollzogenes Beglaubigungsschreiben er-
halten; ferner behält das Völkerrecht die solenne
Vertragsschließung den Staatsoberhäuptern per-
sönlich vor. Die deutschen L. pflegen, außer den
ihnen hinsichtlich der Gesetzgebung zustehenden
Funktionen, der obersten völkerrechtlichen Reprä-
sentation und den Begnadigungen in Strafsachen,
insbesondere die Anordnungen über die Organi-
sation der Behörden, die Ernennung und Ent-
lassung der Min, die Ernennung der übrigen
höheren Beamten, die Bestimmung des Anfangs
und der Dauer der Tätigkeit des Landtages, so-
wie die Auflösung desselben (bezw. der zweiten
Kammer), die Ausübung der Rechte der Kon-
tingentsherrlichkeit, die Verleihung von Standes-
erhöhungen und anderen Auszeichnungen IX Or-
den] persönlich vorzunehmen.
Regelmäßig hängt es von dem Ermessen des L.
ab, wen er, im Fall einer Delegation, mit der
Vornahme des Aktes betrauen will; eine singuläre
Beschränkung in dieser Hinsicht enthält die Vor-
schrift der preuß. V1 #77 Abs 1, wonach die Er-
öffnung und die Schließung der Kammern durch
den König persönlich oder durch einen von ihm
dazu beauftragten Min (also nicht z. B. durch
winen Prinzen des königlichen Hauses) geschehen
oll.
Aber auch die Normen, welche für gewisse
Staatsakte die persönliche Vornahme von seiten
des L. fordern oder ihn in der Wahl des Dele-
gatars beschränken, haben in der Regel und prä-
sumtiv nur Bezug auf eine Vertretung des re-
gierungsfähigen L.; sie gelten im allge-
meinen nicht für die durch zeitweilige oder dauernde
Regierungsunfähigkeit des Staatsoberhauptes be-
gründete Notwendigkeit einer Regierungsstellver-
tretung im engeren Sinne, bezw. einer Regent-
schaft (+. Regentschaft und Stellvertretungl.
2. Regelmäßig ist es auch dem Ermessen des L.
anheimgestellt, in welchen Fällen er den Verw Be-
hörden Weisungen (Instruktionen) für ihre
Tätigkeit erteilen bezw. ihre Handlungen von
seiner vorgängigen Zustimmung abhängig
machen will. Ausgenommen sind diejenigen Ent-
scheidungen der Verw Behörden, hinsichtlich welcher
diesen eine quasirichterliche Unabhängigkeit zu-
kommt; dies gilt insbesondere in Preußen nicht nur
für die Ausübung der Verwerichtsbarkeit, son-
dern auch für alle sog. Verw Beschlußsachen (J Be-
schlußverfahren, Beschwerdel. Für Preußen sind
andererscits zahlreiche Fälle, in denen die Min
nicht ohne den vorher einzuholenden königlichen
Konsens handeln dürfen, bestimmt durch die Vv#
27. 10. 1810. Dem L. steht es auch frei, per-
sönlich den Vorsitz in den Beratungen des Staats-
Min zu führen [J/ Minister, Ministeriumj.
3. Als Haupt der Verwaltung ist der L. jeden-
falls auch befugt, von allen VerwBehörden
Auskunft zu verlangen. In Preußen sind die
Min verpflichtet, dem Könige periodisch Berichte
über ihre Amtsführung vorzulegen (preuß. V v.
27. 10. 1810).
§ 5. Die persönlichen Rechtsverhältuisse. Wenn-
gleich in Deutschland der Grundsatz „Princeps
legibus solutus est“ niemals rechtliche Geltung
erlangt hat, dieser auch mit dem Wesen des kon-
stitutionellen Staates durchaus unvereinbar sein
würde, so bestehen doch für die Verhältnisse der