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Lübeck
nicht angehören, 5 müssen Kaufleute sein. Wähl-
bar ist grundsätzlich jeder zum Mitglied der Bürger-
schaft wählbare, 30 Jahre alte Bürger. Jede im
Senate erledigte Stelle muß innerhalb 4 Wochen
wieder besetzt werden. Das Wahlverfahren ist
ziemlich verwickelt (a 7): Mitglieder des Senates
und Wahlbürger aus der Bürgerschaft in gleicher
Anzahl vereinigen sich zu einer Wahlversammlung.
Nach ihrer Vereidigung werden 3 Wahlkammern,
bestehend aus je 2 Senatsmitgliedern und Wahl-
bürgern, durch das Los gebildet. Jede Wahl-
kammer hält in besonderem Wahlzimmer Um-
sprache und macht dann in vorgeschriebenem Ver-
fahren einen Wahlvorschlag. Einer der Vorge-
schlagenen wird sodann durch die Wahlversamm-
lung nach unbedingter Stimmenmehrheit, in ge-
heimer Abstimmung mittels Stimmzettel, ge-
wählt. Eine Verpflichtung zur Annahme der Wahl
besteht nicht; auch steht der Austritt aus dem
Senat jederzeit frei. Das Amt ist lebenslänglich;
der Gewählte leistet den Eid der Senatsmitglieder.
Die Honorare, die Versetzung in den Ruhestand,
die Hinterbliebenenversorgung und die Pflicht
zum Austritt aus dem Senate sind durch besondere
Gesetze geregelt. Das Honorar beträgt für Ge-
lehrte 14 000 Mk. jährlich, für die anderen 6000 Mk.
(der Bürgermeister erhält 2400 Mk. Funktionszu-
lage). Den Vorsitz im Senate führt der Bürger-
meister, der vom Senate bei der alle 2 Jahre
Anfang Dezember stattfindenden Verteilung der
Geschäfte (Ratssetzung) durch geheime Abstimmung
nach unbedingter Stimmenmehrheit aus seiner
Mitte gewählt wird. Als Hilfsarbeiter stehen dem
Senate 4 höhere VerwBeamte, Senatssekre-
täre (Reg Räte), zur Seite. Innerhalb des Senates
sind ständige Kommissionen (z. B. die Kommission
für Reichs- und Ausw. Angelegenheiten, für Han-
del und Schiffahrt, Zoll-, Justiz-, Beamten-, Mi-
litärkommission) gebildet; diese entfalten indes
grundsätzlich keine selbständige, sondern nur eine
vorbereitende und begutachtende Tätigkeit, so daß
also die Geschäfte des Senates durchweg im Ple-
num erledigt werden. Außerdem sind, da ein
allgemeines Verwtreitverfahren in L. noch nicht
besteht 1), für einzelne Streitsachen besondere
Spruchkollegien gebildet (z. B. die Rekursbehörde
in Gewerbesachen, die Senatskommission für An-
gelegenheiten der Armenverbände, für Beschwer-
den in Bausachen und in Sielsachen). Sie be-
stehen aus je 3 Senatoren bezw. Senatssekretären.
Die Senatssekretäre werden außerdem VerwaBe-
hörden — und zwar entweder mit beschließender
Stimme an Stelle von Senatsmitgliedern oder
neben ihnen mit beratender Stimme — zugeteilt.
Im übrigen liegt ihnen insbesondere auch die
Protokollführung im Senate und die Leitung der
Senatskanzlei ob. Die Aufsicht über das Staats-
archiv ist einem Archivar übertragen.
. Die Bürgerschaft, bestehend aus
120 Mitgliedern (Vertretern), übt ihre Tätigkeit
aus in ihrer Gesamtheit (a 20—52) oder durch
einen Ausschuß (a 53—72) (Gesch O der Bürger-
schaft, Neudruck 1911, des Bürgerausschusses v.
16. 2. 76).
a) Die Bürgerschaft in ihrer Ge-
samtheit geht hervor aus direkten Wahlen.
Wahlberechtigt ist jeder Bürger, der 25 Jahre alt
1) Seit längerer Zeit schweben Berhandlungen wegen
Einführung einer Verw Gerichtsbarkeit.
ist, 5 Jahre dauernd im lübeckschen Staatsgebiete
seinen Wohnsitz gehabt und während dieser Zeit
Einkommensteuer gezahlt hat. Die Wahlen wer-
den gesondert im Stadt= und Landgebiete in zu-
sammen 4 Abteilungen vollzogen, von denen 2 die
besitzenden Klassen, 2 die übrigen Wähler um-
fassen, und zwar derart, daß die ersteren insgesamt
105, die letzteren 15 Vertreter wählen. Die Wahl
erfolgt in Wahlbezirken (4 städtischen und 6 länd-
lichen). Die Vertreter werden auf 6 Jahre ge-
wählt; alle 2 Jahre in den ersten 20 Tagen des
November finden Ergänzungswahlen statt. Eine
Verpflichtung zur Annahme der Wahl besteht
nicht. Die Sitzungen der Bürgerschaft, denen der
ständige Senatskommissar und außerdem nach Be-
darf Spezialkommissare beiwohnen, und ihre
sonstigen Geschäfte leitet der Wortführer mit zwei
Stellvertretern, die ebenfalls alle 2 Jahre wechseln.
Die Versammlungen sind in der Regel öffentlich;
sie sind bei Anwesenheit von 60 Mitgliedern be-
schlußfähig. Die Abstimmungen erfolgen mit ein-
facher Majorität. Vor der Beschlußfassung über
einen Antrag des Senates kann seine Prüfung
und Begutachtung durch eine Kommission erfolgen.
Zur Zuständigkeit der Bürgerschaft gehört im
wesentlichen die Teilnahme an der Gesetzgebung
(mit Ausnahme der polizeilichen und der lediglich
die Handhabung bestehender Gesetze betreffenden
Verordnungen, die der Senat allein erläßt), ins-
besondere auch der Steuergesetzgebung, sowie die
Mitwirkung bei der Verwaltung des Staatsver-
mögens; im einzelnen vgl. a 50, 51.
b) Der Bürgerausschufß zählt 30 Mit-
glieder, von der Bürgerschaft aus ihrer Mitte auf
2 Jahre gewählt. Die Wahl muß angenommen
werden. Alljährlich im Dezember tritt die Hälfte
aus (Ergänzungswahlen). Ausgeschiedene sind
erst nach Jahresfrist wieder wählbar. Auch hier
steht an der Spitze ein Wortführer (mit 2 Stell-
vertretern); er kann nach Ablauf eines Jahres
noch wieder für ein Jahr gewählt werden. Der
Bürgerausschuß tagt in der Regel alle 14 Tage.
Zur Beschlußfähigkeit ist die Anwesenheit von
20 Mitgliedern erforderlich; die Beschlußfassung
erfolgt auch hier mit Stimmenmehrheit. Vor-
gängige kommissarische Prüfung ist zulässig. Der
Bürgerausschuß erledigt gewisse Angelegenheiten
an Stelle der Bürgerschaft (so, wenn es sich um
Geldbewilligungen bis zu 6000 Mk. einmaliger
oder 300 Mk. jährlicher Ausgabe oder um den Er-
werb und die Veräußerung von Grundstücken bis
zu einem Werte von 12 000 Mk. handelt). Im
übrigen ist er begutachtendes Organ für Anträge
des Senates an die Bürgerschaft; auch übt er in
gewissem Umfange ein Ernennungs= oder Vor-
schlagsrecht aus für Kommissionsmitglieder und
bürgerliche Deputierte der VerwBehörden (5 32).
Im einzelnen siehe a 69—72.
III. Beim Abschluß eines Staatsvertrages oder
bei anderer außerordentlicher Veranlassung wird
notfalls eine Geheimkommission er-
nannt, welche die dem Bürgerausschuß wie der
Bürgerschaft zustehenden Befugnisse ausübt; die
Zahl ihrer Mitglieder bestimmt die Bürgerschaft,
die Mitglieder selbst ernennt der Bürgerausschuß
(a 52, 72). Das Verfahren in den Geheim-
kommissionen ist durch ein besonderes Regulativ
(v. 7. 4. 76) geregelt.
IV. In Fällen beharrlicher
Meinungs-