Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
804 
Mädchenschulwesen (höheres) 
  
beiten erfuhren leider eine Unterbrechung durch 
den im Jahre 1904 erfolgten zu frühen Tod des 
Dezernenten Waetoldt. Anfang 1906 konnte 
eine aus hervorragenden fachlich und allgemein 
interessierten Männern und Frauen zusammen- 
gesetzte Konferenz zu den Entwürfen der Re- 
gierung Stellung nehmen. Die von dieser Kon- 
serenz gebilligten Pläne sind in der Hauptsache 
adurch gekennzeichnet, daß sie die über die höhere 
Mch, deren 10 klassiges System nun auch für 
Preußen anerkannt wurde, hinausgehenden und 
zur Universität führenden Bildungsgänge nach 
em Prinzip des Aufbaus, d. h. der möglichst 
geradlinigen Fortsetzung der MSch organisierten. 
Sie sind jedoch nicht zur Ausführung gelangt. 
Nach langem Hin und Her entschloß man sich, be- 
sonders um dem Wunsche der führenden Frauen 
entgegenzukommen und in Anerkennung gewisser 
Schwierigkeiten des Aufbausystems, zur Annahme 
des Prinzips der Gabelung, d. h. der Ab- 
trennung der zur Universität führenden Klassen 
vor Vollendung des zehnjährigen Kursus. 
L Preuhen 
2. DTie neue Organisation. Nach dem 
MinE v. 18. 8. 08 werden die preußischen 
Wch folgende Verfassung haben: Die höhere 
Möch (durch einen Erl vom Jahre 1912 ist ihr 
der Name „Lyzeum“, dem Lehrerinnenseminar 
und der Frauenschule der Name „Oberlyzeum“ 
beigelegt worden) wird die Mädchen vom vollen- 
deten 6. bis zum vollendeten 16. Lebensjahre 
führen, so daß ihr Normaltypus zehnklassig ist. 
Dabei ist jedoch der Lehrplan in mehreren Fächern 
auf nur neun Klassen berechnet, so daß der letzten 
Klasse Repetitionen und andere mit der Aufgabe 
der Gesamtschule nicht organisch zusammen- 
hängende Stoffe zugeteilt sind: ein großer tech- 
nischer Mangel, der sich in keinem der anderen 
deutschen Staaten, in denen zehnklassige höhere 
MSch schon lange bestehen, findet. Die höhere 
Möch bildet den Grundstock für weitergehende 
Bildungsgänge. Diese sind 1. die sog. Studien= 
anstalten, die der Vorbildung zu den Uni- 
versitäten dienen; 2. die Oberlyzeen, die aus 
der Frauenschule und dem höheren 
Lehrerinnenseminar bestehen. 
I. Die Studienanstalten sind von 
dreierlei Art: Gymnasium, Realgym- 
nasium, Oberrealschulen. Während 
die beiden erstgenannten nach Vollendung des 
7. Schuljahres (4. Klasse) abzweigen und in 
sechs Jahreskursen die Schülerinnen zur Reife- 
prüfung führen, beginnen die Oberrealschulkurse 
erst nach dem 8. Schuljahre (3. Klasse) und um- 
fassen einen fünfjährigen Unterrichtsgang. 
II. Die Oberlyzeen erfordern keine Abzwei- 
gung vom Lyzeum, sondern sind deren geradlinige 
Fortsetzung. Die Frauenschule, als die eine 
Seite des Oberlyzeums, soll der Weiterführung 
der allgemeinen Frauenbildung dienen, sie um- 
faßt also neben dem eigentlichen wissenschaftlichen 
Unterricht, bei dem eine sehr weitgehende Wahl- 
freiheit gewährt wird, auch Unterricht in Päda- 
gogik, Kinderpflege, Haushaltungskunde, Gesund- 
heitslehre, Bürgerkunde, Zeichnen. Malen, Mu- 
sik u. v. a. Mit der Frauenschule können be- 
sondere Rurse zur Vorbereitung auf die Prü- 
  
fungen der Sprach-, Hauswirtschafts-, Handar- 
beits= und Turnlehrerin verbunden werten. Das 
höhere Lehrerinnenseminar bildet die 
andere Seite des Oberlyzeums. Die Lehr- 
pläne in einer Reihe von Fächern stimmen mit 
denen der Studienanstalten überein, in anderen 
sind sie den besonderen Ansprüchen der Lehrerin- 
nenbildungsanstalten gemäß gestaltet. Gegenüber 
der früheren Organisation der Lehrerinnen- 
vorbereitung liegt der Hauptunterschied und -fort- 
schritt darin, daß die wissenschaftliche und die 
pädagogisch praktische Ausbildung voneinander 
zeitlich zetrennt sind. Die drei ersten Jahre dienen 
der wissenschaftlichen, ein viertes der praktischen 
Ausbildung. Der Gesan.tkursus ist dadurch gegen 
früher um ein Jahr verlängert, so daß das normale 
Lebensalter beim Verlassen des Seminars das 
vollendete 20. Jahr ist. Die Neuorganisation der 
Lehrerinnenbildung bedingt auch eine Verände- 
rung der bisherigen Ordnung für die Lehrerin- 
nenprüfung, die durch Erl v. 11. 1. 11 neu ge- 
v*r # uerper. Zufommerf 
. rkörper. Zusammensetzung des Lehr- 
lörpers. Während bisher die Entwicklung ener. 
Anstalten hauptsächlich dadurch gehemmt worden 
war, daß an die Lehrer und Lehrerinnen, oft sogar 
an die Direktoren, geringere Anforderungen ge- 
stellt wurden als an die entsprechenden Beamten 
der höheren Knabenschulen, ist jetzt auch in dieser 
Hinsicht eine Angleichung an letztere vollzogen 
worden. Durch Allerhöchste Ordre v. 15. 8. 08 
ist bestimmt, daß die Lyzeen den sechsklassigen, die 
Lyzeen, die mit Studienanstalten oder Oberlyzeen 
verbunden sind, den neunklassigen höheren Knaben- 
schulen vollkommen gleich gestellt werden, soweit 
ie Rangordnung und die Gehaltsbezüge der bei- 
den Anstalten gemeinsamen Lehrerkategorien in 
Betracht kommen. Während aber z. Z. an den 
Knabenschulen das Element der alabermisch gebil- 
deten Lehrer ausschließlich oder überwiegend ver- 
treten ist, wird für die Lyzeen bestimmt, daß nur 
die Hälfte aller wissenschaftlichen Stunden 
auf der Mittel- und Oberstufe (die den Knaben- 
klassen Sexta bis Untersekunda entsprechen) von 
akademisch gebildeten Lehrern gegeben zu werden 
braucht. Auch bei der Unter= und Obertertia der 
Studienanstalten gilt diese Bestimmung. Dagegen 
müssen in den Klassen Untersekunda bis Ober- 
prima der Studienanstalten und in sämtlichen 
Klassen des Oberlyzeums alle am wissenschaft- 
lichen Unterricht beteiligten Lehrkräfte akademische 
Bildung besitzen. 
Sehr viel Unruhe ist in die neue Entwicklung 
hineingetragen worden durch eine Bestimmung 
des Min, nach welcher die Lehrkräfte der 
neuen Anstalten dem Geschlechte na 
so verteilt sein sollen, daß jedes Geschlecht etwa- 
die Hälfte der Stellen zu beanspruchen hat, daß 
aber jedenfalls kein Geschlecht mit weniger als 
einem Drittel der Stellen beteiligt sein soll. Da- 
gegen erhebt die Frauenbewegung den Anspruch, 
daß Unterricht und Erziehung des weiblichen 
Geschlechtes „primär"“ Sache der Frau sei (so 
auch Adolf Harnack und Kerschensteiner). Die 
Spannung zwischen Oberlehrern und Ober- 
lehrerinnen wird noch verschärft durch den Kampf 
um die Leitung der MBöch. Die ministeriellen 
Bestimmungen lassen grundsätzlich die Frauen 
zur Leitung zu. Diese Zulassung war übri-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.