Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Bayern 71 
  
der Gem Körper durch die Wiedergabe der Ver- 
waltung der ihr Wohl berührenden Angelegen- 
heiten“ gerichtet war. Durch das Gv. 1. 7. 34 
wurde dieses Edikt einer nicht sehr erheblichen Um- 
gestaltung unterzogen. Es heißt seitdem „Revi- 
diertes Gemeindeedikt“, das trotz vieler auf freiere 
Gestaltung gerichteter Bemühungen bis zum 
Jahr 1869 im wesentlichen das bayerische Gem- 
wesen rechts des Rheins ordnete, überdies durch 
eine am 31. 10. 37 erlassene Instruktion in reak- 
tionärem Sinne ergänzt worden war. 
Alle Grundstücke müssen nach diesem Gesetz 
einer Gem gehören; ausgenommen sind nur un- 
bewohnte Waldungen, Seen, Freigebirge, die 
schon bisher außerhalb der Ortsmarkungen lagen. 
Die Gem teilen sich a) in Städte und größere 
Märkte, b) RuralGem. Die Städte zerfallen 
wieder nach ihrer Größe in 3 Klassen; in die 3. ge- 
hören auch die Märkte. Die Gem sind öffentliche 
Korporationen; sie stehen aber unter der Kuratel 
des Staates. 
Wirkliche Gem Glieder (Bürger) sind in der 
Regel diejenigen, welche ein besteuertes Wohn- 
haus in der Gem besitzen, dann dicejenigen, welche 
in der Gem wohnen und besteuerte Grundstücke 
besitzen, endlich diejenigen, welche in der Gem 
wohnen und dort ein besteuertes Gewerbe aus- 
üben. Die Magistrate der Städte können das Bür- 
gerrecht auch anderen Gem Einwohnern mit Zu- 
stimmung der Gem Bevollmächtigten verleihen. 
Nur Bürger sind zu Gem Aemtern wählbar und 
wahlberechtigt. Die Wählbarkeit ist jedoch durch 
einen Zensus beschränkt. 
Die Städte und größeren Märkte besitzen Ma- 
gistrate, die nach der Klasse der Städte in ver- 
schiedener Stärke gebildet werden. Der Magistrat 
(bestehend aus Bürgermeistern, rechtskundigen 
oder technischen Räten, bezw. dem Stadtschreiber, 
und Bürgern) wird von den Gem Bevollmächtig- 
ten gewählt (s. u.); alle Magistratsmitglieder be- 
dürsen der Bestätigung. Die Gem Bevollmäch- 
tigten werden — nach den Klassen der Städte in 
verschiedener Stärke — durch die Bürger gewählt. 
Der Magistrat ist Vorsteher der Gem; er verwaltet 
die Gem Angelegenheiten und die Lokalpolizei. 
Die Gem Bevollmächtigten müssen vom Magistrat 
in allen wichtigen Gem Angelegenheiten zu Rate 
gezogen werden; stimmen die beiden Kollegien 
auch trotz gemeinschaftlicher Beratung nicht über- 
ein, so entscheidet die „vorgesetzte Kuratel“". 
Für die Ruralgemeinden wird ein 
Gem Ausschuß bestellt, der aus dem Gem Vor- 
steher, 2 Pflegern und 3—5 Gem Bevollmächtig- 
ten besteht. In allen Gegenständen des Gem- 
Stiftungs= und GemSchulwesens, dann der 
Armenpflege wohnt der Ortspfarrer dem Gem- 
Ausschuß bei. Die Mitglieder des Gemus- 
schusses werden von der versammelten Gem ge- 
wählt und von dem land-= oder gutsherrlichen 
Gerichte bestätigt. Dem Gutsherrn und seinen 
Beamten verbleiben die im Edikt über die guts- 
herrliche Gerichtsbarkeit übertragenen Rechte. 
Der GemAusschuß führt die Gem Verwaltung. 
Der Gem Vorsteher übt die Dorf- und Feldpolizei. 
Der Gem Versammlung sind einige Rechte vor- 
behalten. 
Die Staatskuratel wird ausgeübt durch das 
Staatsministerium, Kreisregierungen und Unter- 
gerichte. In Städten IJ. Klasse ist der Magistrat 
  
der Kreisregierung unmittelbar untergeordnet. 
Er muß die Genehmigung in einer Reihe von 
Fällen nachsuchen z. B. bei „bedeutenden Neu- 
bauten", über die „Zulässigkeit eines Rechts- 
streits“. Die Städte 1II. und III. Klasse sind ent- 
weder dem besonders bestellten Kommissär oder 
(regelmäßig) dem Landgerichte unterstellt. Der 
Gem Ausschuß der Land Gem ist dem Land= und 
gutsherrlichen Gerichte untergeordnet und ver- 
bunden „die Befehle und Aufträge desselben“ 
zu vollziehen. — Im Jahre 1848 wurden die 
Kuratelbefugnisse der Standes= und Gutsherren 
beseitigt und sämtliche Gem ausschließlich den 
Staatesbehörden unterstellt. 
1861 kam zufolge der Trennung der Justiz von 
der Verwaltung die Staatsaufsicht über die Gem 
an die Bezirksämter (soweit sie nicht bereits den 
Kreisregierungen übertragen war). 
Eine Neuordnung erfolgte durch die 
Gemeindeordnung v. 29. 4. 69, welche 
am I. 7. 69 in Kraft trat und heute noch in Gel- 
tung ist. 
In der Pfalz blieben die Gem bis 1869 in 
der Hauptsache dem französischen Rechte unter- 
worfen. Aus dem Maire wurde der Bürgermei- 
ster, aus dem adjoint der Adjunkt, aus dem 
corps municipal bezw. dem conseil général de la 
commune der Stadt= oder Gemeinderat. Die Be- 
fugnisse der Unterpräfekten gingen auf die Land- 
kommissariate, später Bezirksämter über. Im 
Jahre 1837 wurde die Zahl der Gemfatsmitglie- 
der geregelt. Der 29. 4. 69 brachte auch „ene 
Gemeindeordnung für die Pfalz“, 
die am 1. 7. 69 in Kraft trat und im wesentlichen 
noch heute gilt. 
Die steuerrechtlichen Bestimmungen der Gem- 
Ordnungen werden vom I. 1.12 abeersetzt durch das 
Umlagengesetz vom 14. 8. 10. Ein Teil der 
Vorschriften über das Wahlverfahren ist ersetzt 
durch das Gemeindewahlgesetz v. 15. 8. 08 
und die Verordnung v. 18. 8. 08. — Für die 
Pfalz ist wichtig das G v. 17. 6. 96 (GVBl 
S. 289) und das „Pfälzische Städteverfassungs- 
gesetz“ v. 15. 8. 08 (GVhl S 471). 
#§# 2. Art der Gemeindeverfassung. 
Nach a 1 beider Gem Ordnungen sind „die 
Gemeinden öffentliche Körperschaften mit dem 
Rechte der Selbstverwaltung nach Maßgabe der 
Gesetze“. Verschieden jedoch ist die Verfassung 
(und die Organisation der Staatsaufsicht) in den 
Landesteilen rechts des Rheins und in der Pfalz 
(unten 5 5), ferner für „Städte und Märkte"“ 
einerseits — „Landgemeinden“ andererseits, dies 
jedoch im wesentlichen nur rechts des Rheins. 
Die Zahl der Gem betrug 1885: 8052 — 1905: 
7092. 91 Gem hatten 1905 weniger als 100, 
4906 weniger als 500 Einwohner. 
I1. Im rechtsrheinischen Bayern kön- 
nen die städtische Verfassung diejenigen Gem 
führen, die im Jahre 1869 „Stadt- und Markt- 
recht“ besaßen, sowie diejenigen, denen die Ein- 
reihung in die Klasse der Städte und Märkte mit 
städtischer Verfassung seither durch den König 
bewilligt worden ist. Eine Gem, die einmal 
städtische Verfassung gehabt, aber Landgemeinde- 
verfassung angenommen hat, behält den Namen 
„Stadt“ oder „Markt“ und ihr Wappen mit der 
Befugnis der Rückkehr zur städtischen Verfassung. 
In der Pfalz besteht nur eine Form der
	        
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