Moresnet
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da die beiden Kommissionen über die Abteilung der
kleinen Parzelle des Kantons Aubel,
nach dem Traktat v. 31. Mai und den übrigen Wiener
Kongreß-Akten dem Königreiche Preußen angehören solle,
sich nicht haben verständigen können.
Diese Schwierigkeit wird der Entscheidung der resp. Re-
gierungen anheimgestellt.
In Erwartung dieser Entscheidung soll die proviso-
rische Grenze durch die Moresnetsche Gemeinde der-
gestalt gebildet werden, daß derienige Teil dieser Gemeinde,
der auf der linken Seite einer vom Berüh-
rungspunkte der 3 Kantons bis zum Be-
rührungspunkte der 3 Departements
zu ziehenden geraden Linie belegen ist, in
allen Fällen dem Königreiche der Niederlande an-
gehören, hingegen der auf der rechten Seite einer
von den Grenzen des Eupener Kantons
gerade von Süden nach Norden, bis zum
selbigen Berührungspunkte der 3 De-
partements zu ziehenden Linie liegende
Teil in allen Fällen dem Königreiche Preußen ange-
hören und daß endlich der zwischen jenen beiden
Linien belegene Teil derselben Gemeinde
als der einzige, der vernünftigerwrise streitig gemacht werden
könne, einer gemeinschaftlichen Verwaltung
unterworfen und von keiner der beiden
Mächte militärisch besetzt werden soll.
Verhandlungen über eine Teilung des hiernach
streitig gebliebenen Gebietes — sog. Neutral-
Moresnet — zwischen Preußen und den Nieder-
landen sind durch den Ausbruch der Revolution
in Belgien zum Stocken gekommen. An die
Stelle der Niederlande ist infolge a 1 Vt zwi-
schen den Niederlanden und Belgien v. 19. 4. 39
(Fleischmann, Völkerrechtsquellen S 36) das
Königreich Belgien getreten.
Val. Skizze Nr. 2.
§+ 3. Die Rechtslage im allgemeinen.
Die rechtliche Natur des Gebietsteils
ist lebhaft bestritten. Der unterscheidende Zu-
satz („Neutral“) zu dem Namen ist irreführend;
denn eine Neutralisierung des Gebietsteils kann
aus dem Verbot der militärischen Besetzung nicht
herausgelesen werden. Die Ansicht gar, daß
„Neutral-Moresnet“ ein selbständiger Staat sei,
bedarf keiner Widerlegung. Der Landstreifen
wird, nach dem Patente von 1814, von Preußen
vollständig in Anspruch genommen, von Belgien
aber Preußen nicht zugestanden (a 17 Abs 1 des
Aachener Vt); er ist also im Streite geblieben.
Somit kann auch nicht von einem coimperium
(Kondominat ) die Rede sein, wie es meist heißt
(z. B. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht 67),
ebensowenig wie im Privatrechte bei bestrittenem
Eigentumsanspruche ein Miteigentum der Prä-
tendenten an dem Streitstücke angenommen wird.
Es ist vielmehr ausdrücklich (und lediglich) eine
MWMitverwaltung zwischen Preußen und Bel-
gien vereinbart, mit der begreiflichen negativen
Schranke, die hiervon die militärische Betätigung
ausnimmt. Die Verwaltungspraxis hat allerdings
der Auffassung eines Kondominats, das gegen
beide Staaten eine gewisse Selbständigkeit wahrt,
eine Zeitlang Nahrung gegeben, indem beide
Staaten bis in die 40er Jahre des 19. Jahrh. eine
besondere Auswanderungserlaubnis für solche
Staatsangehörige, die nach M. zogen, erteilten
und die Einwohner von M. nicht zum Heeres-
dienste heranzogen. Ein andermal hat sich amt-
liche Ausdrucksweise in der Wendung „gemein-
die schaftliche Untertanen“ gefallen (V v. 12. 11. 83
über die Zollverhältnisse). Schließlich läßt aber
eine Abwägung des Verhaltens beider Staaten,
wie es während eines Jahrhunderts auf Grund
des Grenzvertrags von 1816 geübt worden ist,
als Grundzug erkennen, daß jeder Staat Neutral-
M. sich gegenüber nicht durchweg als
Ausland behandelt. Die wichtigste Jol-
gerung zeigt sich für die Erhaltung der Staats-
angehörigkeit der Ueberwandernden und für ihre
Militärpflicht. „Inland“ ist es deshalb nicht
schon geworden. Also sind auch die Bewohner
im Jahre 1816 nicht Staatsangehörige eines der
beiden Staaten geworden (Folge z. B. für Aus-
weisung (VI; dazu Neumeyer, Internat. Verw-
Recht 1 1910 S8), und M. ist „Ausland“ im
Sinne des 8 4 StGB.
Das ist nicht gegen den Sinn der „Mitverwal-
tung“; freilich eine in sich nicht klare Rechtslage,
bei ihrer Vereinbarung als Notbehelf auf kurze Zeit
gedacht, und bei deren Ausgestaltung man als festen
Punkt nur das Bestreben verfolgen kann: sich nach
Möglichkeit nicht von dem Zustande des Jahres
1815 (damaliges französisches Recht) zu entfernen.
— Die Unzuträglichkeit ist offensichtlich.
8 4. Praxis der Verwaltung.
1. Eine Gesetzgebung könnte nur durch
beide Staaten gemeinsam erfolgen. (Die Regle-
ments über die Gemeinde--Einkommensteuer v. 3.
10. 59, die Hundesteuer v. 5. 11. 67, die Schank-
steuer v. 1. 9. 94, sowie die Verordnung über
Handel und Verkehr mit Schlachtfleisch v. 30. 6. 96
sind sowohl brteh den König von Preußen als
durch den König der Belgier genehmigt.)
2. Organisation der Behörden. Die
Aussicht über die Verwaltung führen gemein-
schaftlich je ein Kommissar der preußischen
und der belgischen Regierung, d. i. der Landrat
von Eupen (Vfg des Min Inn u. d. Fin. v. 17. 6.
1841) und (zur Zeit) der Kommissaire d'arrondisse-
ment zu Verviers. Grundsätzlich werden sie noch
wie die Präfekten des ersten französischen Kaiser-
reichs nach dem G v. 28. pluviêse des Jahres VIII.
(17. 2. 1800) tätig. In Gemeinschaft steht ihnen
deshalb auch der Erlaß von Pol Verordnungen zu
(bisher im wesentlichen gegen Schankwirtschaften).
Die Verwaltung führt ein von den Kommissa-
ren ernannter Bürgermeister (zur Zeit der
Bürgermeister von Preußisch-M.); neben ihm steht
mit beratender Stimme ein Gemeinderat
von 10 Mitgliedern, die auf Vorschlag des Bürger-
meisters aus den Bürgern von Neutral-M., ohne
Rücksicht auf ihre Herstammung berufen werden.
Bürgermeister wie Mitglieder des Gemeinderats
sind ohne Zeitgrenze bestellt und jederzeit absetzbar.
Als Polizeibeamte können auch die Gendarmen
beider Staaten (aus Preußisch-M. und aus
Montzen in Belgien) tätig werden.
3. Justiz und Polizei. Es gilt das (fran-
zösische) Recht in dem Zustande wie 1815, also auch
der code pénal (in seiner ursprünglichen Fassung):
z. B. a 410 (Spielhäuser); gegen die Härten (z. B.
Betteln nach à 274—276 bis zu 2 Jahren Gefäng-
nis) muß die Begnadigung helfen. Klagen und An-
klagen können sowohl vor den preußischen Gerichten
(AG Eupen, LG Aachen) als vor den belgischen
(juge de paix in Aubel, tribunal in Verviers) er-
hoben werden. Strassachen werden überwiegend