Tarifvertrag
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lieren die T. keineswegs ihre große Bedeutung
für geordnete Verhältnisse in den einzelnen Ge-
werben und für die nationale Wohlfahrt, wie eine
Eingabe des Tarifamts der deutschen Buchdrucker
vom Januar 1909 an den Rd solches eingehend
bekundet (abgedruckt DI-T 2, 213 ff). Die Buch-
drucker und ihre Prinzipale, deren Kollektivab-
kommen für die Verträge anderer Gewerbe vor-
bildlich ist, sind am besten in der Lage, auf Grund
ihrer langjährigen Erfahrungen die Vorteile der
T. zu schätzen. Für die Zukunft der letzteren
spricht, daß wir Ende 1912 10 739 derartige Ver-
träge bei 159 930 Betrieben mit 1574 285 Per-
sonen zu verzeichnen hatten. (7. Sonderheft zum
Rüärb Bl (1913): die T. im deutschen Reiche am
Ende des Jahres 1912, 22.) Trotzdem und trotz
reicher Literatur sind wichtige Punkte aus dem
Gebiete des Tarifvertragsrechts noch nicht aus-
reichend geklärt. Der Staatsminister v. Beth-
mann-Hollweg führte in der RSitzung v. 5. 2.09
aus: Sehr viele Fragen, die vor einem Tarifver-
tragsgesetz gelöst werden müßten, seien in keiner
Weise ausgetragen. Wenn man sehe, wie sich
besonders im letzten Jahre die T. in Deutschland
ausgebreitet haben, so werde die Behauptung sich
nicht gut vertreten lassen, daß es einer zivilrecht-
lichen Regelung des Tarifvertragswesens absolut
und dringlich bedürfe. Man müsse befürchten,
„daß, wenn wir jetzt mit einem Tarifgesetz ein-
greifen würden, wir die natürliche und infolge-
dessen gesunde Entwicklung zu zerstören Gefahr
laufen würden". Aehnlich so mehrmals Staats-
minister Delbrück. Wir werden also vielleicht
einige Aenderungen bestehender Gesetze zugunsten
der T. hier und da erreichen. Ein besonderes Gesetz
über T. zu schaffen, dürfte einer späteren Zeit
vorbehalten bleiben. Dennoch ist es von erheb-
lichem Wert, wenn der 29. deutsche Juristentag
1908, der Verbandstag der deutschen Gewerbe-
und Kaufmannsgerichte 1910 und die 6. Haupt-
versammlung der Gesellschaft für soziale Reform
1913 sich mit der Frage der gesetzlichen Regelung
der T. beschäftigten.
§s# 2. Geschichtliches.
Bal. Bd. 1 der Untersuchungen des Reichsstatistischen
Amts; Lotmar in Brauns Archiv XV, 1 f. Dr. Fanny
Imle, Die T. zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
in Deutschland, S1—76 und Köppe, Der Arbeitstarifver-
trag als Gesetzgebungsproblem, 142 ff.
Deutschland hat, wie alle übrigen Kultur-
länder, aus England die T. erhalten. Es fehlt
aber dort ebenso eine gesetzliche Regelung wie
bei uns. Auch Amerika entbehrt eines Ge-
setzes über T. Dagegen hat man in Australien
und Neuseeland das Tarifvertragswesen auch
öffentlich-rechtlich geregelt. Die Vorschriften sind
danach eingerichtet, daß Streiks und Aussperrun-
gen gänzlich vermieden werden. Soviel bekannt
hat dies nicht immer durchgesetzt werden kön-
nen. In der Schweiz (Kanton Genf) ist (1900)
ein Gesetz für die T. geschaffen. Ferner enthalten
### 322 und 323 des schweizerischen Obligationen-
rechts v. 30. 6. 11 Bestimmungen zum T. Siehe
weiter für Oesterreich: Gv. 5. 2. 07 8 114 b
(GKG 15, 382) und G v. 10. 1. 10 (Handlungs-
gehilfengesetz, 4 6; GK G 15, 382 und Jahrbuch
des Kaufmannsgerichts Berlin 3, 112), für die
Niederlande: a 1637nÜBB (GKG 15,
391). In anderen Ländern wie z. B. JItalien,
Frankreich, Schweden handelt es sich bisher um
Gesetzentwürfe, in denen man sich mit dem T.
beschäftigt hat.
z 3. Inhalt (Verbandszwang), Dauer.
I. Nach Wölbling (Akkordvertrag und Tarif=
vertrag 315) lassen sich 5 Gruppen von Bestim-
mungen des T. unterscheiden:
1. Die Verpflichtung zur Unterlassung
gewisser, auf Aenderung des T. gerichteter
Machtmittel, wie Streik, Sperre, Aussper-
rung, Boykott, Verrufserklärung, schwarze Li-
sten u. a.
2. Bestimmungen, die das Verhältnis
zwischen Arbeitgebern und Arbei-
tern im allgemeinen regeln sollen.
Hierher gehören die Festsetzung der Zahl der
zu beschäftigenden Arbeiter, das Lehrlings-
wesen, allgemeine Arbeiterschutzbestimmungen;
das Verbot gewisser Vertragsformen, z. B. der
Akkord= und Heimarbeit, der Beschäftigung weib-
licher Personen, irgendwelcher maschineller Ein-
richtungen. Die Ordnung der „Tarifgemeinschaft"“
gehört auch hierher (Organe der „Tarifgemein-
schaft“: Schlichtungskommissionen, Arbeitsnach-
weis usw.).
3. Bestimmungen, die zum Inhalt der ein-
zelnen Arbeitsverträge werden sol-
len. Zum Inhalte des Arbeitsvertrages können
auch bisweilen die Bestimmungen zu 2 werden.
4. Transitorische, auch dienstvertrag-
liche Bestimmungen. Diese bestehen in der Auf-
hebung des etwa vorangegangenen Kampfes, be-
stehender schwarzer Listen. Im Zusammenhang
hiermit können diejenigen Bestimmungen erwähnt
werden, welche unmittelbar die Begründung oder
Forisetung von Dienstverhältnissen zur Folge
aben.
5. Den T. selbst betreffende Bestimmungen.
Dahin gehört Anfang und Ende der Vertrags-
dauer, Kündigung. v
Wünschenswert wären noch Bestimmungen
über die Abänderbarkeit der T. bei Konjunktur-
wechsel.
Die T. werden meistens auf einen Zeit-
raum von 3 Jahren abgeschlossen. Ueber die
Stempelpflichtigkeit der T. nach dem preußischen
Landesstempelgesetz s. Oppenheimer, Das Eini-
gungswesen usw. S 80 und 175.
Man hat Formulare zum Abschluß von
T. ausgearbeitet, so die „Vorlage für Arbeits-
tarifverträge" (Soziale Praxis XVII, 679 ff).
Es bestehen auch Formulare für das deutsche Bau-
gewerbe und für das deutsche Malergewerbe.
Undeutlichkeiten in den T. werden selbst beim
Gebrauch von Formularen sich nicht vermeiden
lassen. (Schalhorn in der Sozialen Praxis vom 23.
4. 03, S 811 und 812 und v. 1. 3. 06, S 684 ff.)
II. Da in absehbarer Zeit bei Tarifvertragsabschlüssen
häufig nur die immer stärker werdenden Berbände sich
gegenüber stehen und unorganisierte Außenseiter in ge-
ringer Menge vorhanden sein werden, so muß man üÜber-
legen, ob ein Berbandszwang gut zu heißen sei.
Die Vorschriften über den Verbandszwang des Berliner
Glasergewerbes und der deutschen Buchdrucker (1906) hat
man vielfach beanstandet.
Zunächst sel auf den Urterschied zwischen „ausschließli=
chem Tarisgemeinschaftsverkehr" und „ausschließlichem
Berbandsverkehr“ hingewiesen. „Ausschließlicher Tarif-
gemeinschaftsverkehr“ liegt vor, wenn in den T., um einen
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