Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

174 Fünfter Abschnitt: Die Funktionen des Staates. I. Die Gesetzgebung. § 55. 
gewesen sein oder nicht, derogirt und selbst wiederum nur im Wege der Gesetzgebung 
aufgehoben oder abgeändert werden kann. Verfassungsgesetze können durch ein späteres 
Gesetz nur aufgehoben werden, wenn dasselbe in der für Verfassungsänderungen vor- 
geschriebenen Weise verabschiedet worden ist; s. oben S. 110. Die materiellen Wirkungen 
der Gesetze sind so verschieden als der mögliche Inhalt derselben. 
Die Wirksamkeit beginnt mit dem Zeitpunkte, in welchem das Gesetz als ver- 
kündet zu gelten hat, soweit sie nicht in dem Gesetze selbst oder in einem besonderen Gesetze 
auf einen späteren Zeitpunkt hinausgerückt worden ist. Letzteres kann auch in der Weise 
geschehen, daß der Staatsregierung überlassen wird, den Beginn der Wirksamkeit im 
Verordnungswege zu bestimmen. 
5. Ueber das Recht des Richters, die Giltigkeit der erlassenen Gesetze zu 
prüfen, enthält das württemberg. Recht keine besondere Bestimmung ¹). Diese Befugniß 
ist jedoch in Württemberg nicht bestritten ²). Dieselbe erstreckt sich sowohl auf die ver- 
fassungsmäßige Verabschiedung mit den Ständen und die ordnungsmäßige Verkündung, 
einschließlich der Richtigkeit des Textes ³), als auf die Prüfung der Frage, ob 
ein Landesgesetz nicht mit einem Reichsgesetze, eine Verordnung nicht mit einem Gesetze 
im Widerspruch steht. Dagegen steht dem Richter ein Prüfungsrecht darüber, ob ein 
formell giltiges Gesetz materiell mit der Verfassung übereinstimmt, ob es also von der 
Ständeversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen werden konnte oder als 
Aenderung der Verfassung einer qualifizirten Mehrheit bedurfte, wenigstens dann nicht 
zu, wenn das Vorliegen einer Verfassungsänderung von den zur Entscheidung hierüber 
berufenen gesetzgebenden Faktoren selbst negirt, die Verfassungsmäßigkeit von denselben 
nicht beanstandet worden ist ⁴). 
§ 55. III. Die Verordnung. Unter Verordnung i. w. S. versteht man jeden Befehl 
der Staatsgewalt, welcher nicht in der Form des Gesetzes erlassen wird. Die Verord- 
nungen zerfallen hiernach in Rechtsverordnungen und Verwaltungsverordnungen, je nachdem 
innerhalb der durch die Gesetzgebung gezogenen Grenzen eine Rechtsregel für allgemein 
verbindlich erklärt oder nur innerhalb des Kreises der Verwaltung ein Dienstbefehl erlassen 
wird. In das Gebiet der Gesetzgebung gehört nur die Rechtsverordnung oder Verordnung 
i. e. S. Diese kann wieder eine sog. Ausführungsverordnung oder aber eine Verordnung 
mit interimistischer Gesetzeskraft (Nothverordnung) sein ⁵). 
1. Die Ausführungsverordnung. Aus dem unter I. Bemerkten ergibt sich, daß 
der Staatsgewalt die Befugniß, Rechtssätze ohne Mitwirkung der Volksvertretung mit 
allgemein verbindlicher Kraft auszustatten, nur insoweit zusteht, als ihr dieses Recht in 
Beziehung auf einen Gegenstand durch Gesetz speziell übertragen worden ist oder als die 
Anordnungen sich innerhalb des Rahmens der Gesetzgebung mit der Ausführung der 
letzteren beschäftigen, also Folgerungen ziehen, welche in dem Gesetzesbefehl selbst enthalten 
 
1) Es ist daher bezüglich dieser vielerörterten Frage auf die Theorie des allgemeinen und des 
deutschen Staatsrechts zu verweisen; vgl. auch Gneist, Gutachten für den IV. Deutschen Juristen- 
tag, Verh. B. I S. 212. 
2) Vgl. Wächter, württemb. Privat-Recht, II S. 26 ff., insbes. Note 5, Mohl, I S. 324; 
Sarwey, II 99; auch die Rechtsprechung der württ. Gerichte, insbesondere des Oberlandesgerichts 
erkennt dies an. 
3) Der gesetzliche Text begründet zwar die Vermuthung der Legalität, schließt aber den 
Gegenbeweis nicht aus, wie denn erfahrungsgemäß Versehen in dieser Beziehung schon öfter vor- 
gekommen sind. 
4) A.A. ist in dieser ganzen Lehre Laband, I S. 551f. 
5) Vgl. hierüber Laband, I S. 598 ff., und in diesem Hdb. II I S. 92 f. Der Aus- 
druck Nothgesetz ist als zweideutig zu vermeiden, da mit diesem Worte auch ein mit den Ständen 
verabschiedetes interimistisches Gesetz bezeichnet wird.
	        
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