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vollendet hatte, lediglich aus dem Grunde für
nicht schuldig, weil dieselbe bei Begehung der
That die zur Erkenntniß ihrer Strafbarkeit er-
forderliche Einsicht nicht besessen hatte, so müssen
sie dieses bei ihrem Ausspruche angeben und der
Schwurgerichtspräsident hat sie darauf, daß dieß
geschehen müsse, ausdrücklich aufmerksam zu machen.
Art. 76.
Gegen jedes Urtheil, welches über die Unter-
bringung eines Angeschuldigten, der zur Zeit
der That das 18. Lebensjahr noch nicht zurück-
gelegt hatte, in einer Erziehungs= oder Besse-
rungsanstalt entscheidet, steht dem Staatsanwalte,
dem Angeschuldigten und derjenigen Person,
welche das Recht der Erziehung des letzteren
hat, das Rechtsmittel der Berufung, beziehungs-
weise der Nichtigkeitsbeschwerde zu. Ist die Ent-
scheidung gelegenheitlich der Einstellung des Ver-
fahrens in geheimer Sitzung erlassen worden,
so läuft dem Angeschuldigten und demjenigen,
welchem das Recht der Erziehung desselben zu-
steht, die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels
von dem Tage an, an welchem einem Jeden der-
selben das Erkenntniß zugestellt oder eröffnet
wurde.
Ist das Erkenntniß in öffentlicher Sitzung er-
lassen worden, jedoch derjenige, welchem das
Recht der Erziehung des Angeschuldigten zusteht,
zur Verhandlung in dieser Eigenschaft oder als
Mitbeschuldigter nicht vorgeladen gewesen, so
läuft ihm die Frist zur Anmeldung der Beru-
sung, beziehungsweise der Nichtigkeitsbeschwerde,
gleichfalls erst von dem Tage an, an welchem
ihm die Entscheidung zugestellt oder eröffnet wurde.
Das Recht des Einspruches steht dem Erzieh-
ungsberechtigten als solchen niemals zu.
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II. Besondere Bestimmungen.
1. Verfahren in Uebertretungssachen in
den Landestheilen rechts des Rheins.
Art. 77.
In den Landestheilen rechts des Rheins hat
sich das Verfahren in den zur Zuständigkeit der
Einzelnrichter gehörigen Uebertretungssachen, so-
weit für dieselben nicht durch Specialgesetze be-
sondere Eigenthümlichkeiten vorgeschrieben sind,
und vorbehaltlich der im gegenwärtigen Gesetze,
namentlich in den Art. 78 bis 89 enthaltenen
besonderen Bestimmungen im Allgemeinen nach
den für das Verfahren in Vergeheussachen, welche
zur bezirksgerichtlichen Zuständigkeit gehören,
vorgezeichneten Grundsätzen zu richten.
Art. 78.
Eine Voruntersuchung findet bei den in Art.77
bezeichneten Uebertretungen nicht statt. Ist eine
Uebertretung angezeigt, so hat der Staatsanwalt
die an ihn gekommene oder von ihm kurz auf-
genommene und nöthigenfalls durch weitere Er-
kundigung vervollständigte Anzeige dem Richter
mit dem schriftlichen oder mündlichen Antrage
auf Festsetzung der Hauptverhandlung zu über-
geben. Sowohl dem Richter als dem Staats-
anwalte steht die Befugniß zu, wenn sie Auf-
schlüsse oder Erhebungen für nöthig erachten,
dieselben von den Polizeibehörden oder der
Gendarmerie zu erholen.
Art. 79.
Ist der Beschuldigte verhaftet, so muß der in
Art. 78 bezeichnete Antrag längstens binnen vier-
undzwanzig Stunden gestellt und, falls nicht be-
sondere Hinderungsursachen entgegenstehen, so-
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