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des Wahlrechtes durch gewisse allgemeine sittliche und intellek-
tuelle Erfordernisse als durch den Besitz der Staatsbürgerschaft,
den vollen Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte, Hand-
lungsfähigkeit, männliches Geschlecht, bestimmtes Lebensalter,
gedacht, welche einen grossen Teil der Staatsbewohner vom Wahl-
rechte ausschliessen, sondern an jene Differenzierungen innerhalb
des Wahlrechtes, welche durch die eigenartigen kulturellen
und wirtschaftlichen Verhältnisse des österreichischen
Staates herbeigeführt werden.
Dieselben kommen zum Ausdruck namentlich in der Zusam-
mensetzung der Wahlbezirke, welche nicht nach einem be-
stimmten Schlüssel der Bevölkerungszahl gebildet sind, sondern
ganz verschiedene Ziffern und eine nicht ganz einheitliche Ge-
staltung ausweisen. Auch in den übrigen Staaten mit allgemei-
nem, „gleichen“ Wahlrechte finden sich zwar namentlich nume-
rische Unterschiede in der Bevölkerungszahl der Wahlbezirke
vor; dieselben sind aber hier zumeist erst im Laufe der Zeit
durch die normale Entwickelung der Bevölkerung, namentlich
infolge Ueberwanderung entstanden, sie sind aber nicht von vorne-
herein durch das Gesetz beabsichtigt. So haben sich die Wahl-
kreise für den deutschen Reichstag, welche ursprünglich
auf Grundlage einer Bevölkerungszahl von 100000 Einwohnern
innerhalb der Gliedstaaten beruhten !, namentlich durch die
Ueberwanderung in grössere Städte infolge des industriellen Auf-
schwunges wesentlich zum Nachteile der städtischen Bevölkerung
geändert. Aehnliche Verhältnisse bestehen in Frankreich,
woselbst durch die periodische Revision des Wahlgesetzes die ur-
sprüngliche Bevölkerungszahl der Wahlkreise tunlichst aufrecht
ı 85 Wahlges. vom 31. Mai 1869, BGBl. S. 145.
2 Vgl. G. MEYER-JELLINEK, Das parlamentarische Wahlrecht 1901.
Danach zählt der stärkste Wahlkreis Berlin VI gegenwärtig ca. 586 929,
dagegen der Wahlkreis Löwenberg bloss 60511 Einwohner; vgl. auch
Knorr Statistik der Wahlen zum ersten Reichstag, Hır'rms Annalen 1872.