Full text: Grundzüge des Deutschen Staatsrechts.

2 Einleitung. 
fähigkeit erhoben wird, m. a. W. dass das Volk in ihm 
zur rechtlichen Persönlichkeit gelangt. Der Staat als Be- 
wahrer und Öffenbarer aller auf die sittliche Vollendung 
des Gemeinlebens gerichteten Volkskräfte ist die höchste 
rechtliche Persönlichkeit, welche die Rechtsordnung 
kennt; ihre Willensfähigkeit hat die reichste Ausstat- 
tung erfahren, welche das Recht zu geben vermag.? 
2Die Auffassung des Staats als eines persönlichen Wesens 
ist die Voraussetzung jeder juristischen Konstruktion des Staats- 
rechts. Das Nähere darüber s. in der Beilage II. Der rechtliche 
Begriff der Staatspersönlichkeit ist aber ein ursprünglicher, und 
will in seiner Eigenthümlichkeit erfasst werden. Es beruht auf 
einem Verkennen der Stellung des Staats im Zusammenhange der 
ethischen Ordnungen der Menschheit, wenn man die rechtliche 
Persönlichkeit des Volks im Staate als einen abgeleiteten Begriff 
behandelt, und die Gattung desselben in den juristischen Per- 
sonen des Privatrechts sucht, indem man den Staat in die Scala 
der letzteren einreiht. Entweder ist man dann genöthigt, das 
privatrechtliche Institut mit einer Reihe von Elementen auszu- 
statten, die seinem Zwecke ganz fremd sind, oder den Staat seiner 
specifischen Art zu entkleiden, bis er sich in die Reihe der Kor- 
porationen einfügen lässt. Es ist vielmehr wiederholt hervorzu- 
heben, dass die Jurisprudenz in ihrem vollen Rechte war, wenn sie 
zwischen dem Staate in seiner eigentlichen Funktion und dem 
Staate in seiner Stellung als Fiscus unterschied, und nur für letz- 
teren die privatrechtliche juristische Person in Anspruch nahm. 
In besonders hohem Grade gilt dieses Alles von dem in neuerer 
Zeit (Bähr, der Rechtsstaat 1864) wieder aufgetretenen Versuche, 
den Staat aus dem „Genossenschaftsrechte‘‘ zu konstruiren, und 
ihn so an das Ende einer Gliederreihe zu stellen, welche wesent- 
lich im Privatrechte ihren Ausgangspunkt und Sitz hat. Solche 
Irrthümer können sehr erheblich sein, wenn ihre Konsequenzen 
mit Rücksichtslosigkeit gezogen werden, sie können freilich auch 
praktisch bedeutungslos bleiben, wenn das Letztere nicht ge- 
schieht; aber auch dann bleibt noch der Schaden, der unter allen 
Umständen daraus hervorgeht, dass die geistige Individualität des 
fundamentalsten Instituts unserer ganzen Rechtsordnung verkannt 
wird. Die praktischen Spitzen dieser Polemik werden jedoch erst
	        
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