8.8. Charakter der Stautsgewalt. 25
staat, sondern ein Staatenbund, in welchem der recht-
liche Begriff‘ der vollen Souverainetät der einzelnen
Bundesstaaten gewahrt blieb. * Indessen enthielten die
Grundgesetze des Deutschen Bundes neben den auf
diess Vertragsverhältniss und die Bildung der ihm ent-
sprechenden Vertragsorgane bezüglichen Festsetzungen
zugleich eine Reihe von Bestimmungen, welche das
innere Staatsrecht der Bundesstaaten betrafen,5 und
somit einen unter höhere Garantieen gestellten Bestand-
theil dieses letzteren selbst ausmachten.
Durch die Gründung des Deutschen Reichs ist für
Staatsgewalt des unabhängigen Einzelstaats entspricht ganz dem
Verbhältniss der privatrechtlichen Willensmacht einer juristischen
Person zu der Willensmacht einer natürlichen Person, eines
Menschen; hier eine Willensmacht mit allseitiger Ausdehnbarkeit,
eine Willensmacht auf natürlicher Grundlage, dort eine künstlich
geschaffene und daher nur in der Sphäre ihrer künstlichen Existenz
bestehende. Wenn ein Bundesstaatsverhältniss unitarischen Be-
strebungen anheim fällt, so kann ein Zustand entstehen, bei wel-
chem jene Normalverhältnisse getrübt erscheinen; aber dieser
Zustand enthält keine neuen Prinzipien, sondern ist nur ein vor-
übergehender Moment des eingetretenen Auflösungsprocesses. —
Ganz unrichtig ist es, wenn Manche in jüngster Zeit behauptet
haben, dass eine Theilung der souverainen Staatsgewalt zwischen
Bund und Einzelstaaten, und dass eine fragmentarische souveraine
Staatsgewalt prinzipiell unmöglich sei, — eine nicht begründbare
Behauptung. In diesem Punkte befinde ich mich in einer wesent-
lichen Differenz mit Laband, I. Bd. S. 93.
4 Rechtlich waren hiernach alle deutschen Staaten, unter
Voraussetzung der Wahrung ihrer Bundespflichten, souverain.
Aber die Souverainetät ist freilich kein Begriff, der bloss auf der
Basis des Rechts beruht, er setzt zugleich, um zur vollen Wahr-
heit zu werden, eine entsprechende Macht voraus. Daher war
die Souverainetät der einzelnen deutschen Staaten, obschon recht-
lich dieselbe, doch thatsächlich ausserordentlich verschieden.
6 Siehe unten $. 14.