Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

552 III, 1. Die Regierung Kaiser Friedrichs III. (Vom 9. März bis 15. Juni 1888.) 
Gesellschaftsllassen zu heben, widerstreitende Interessen derselben zu versöhnen und unvemmeidliche 
Massstände nach Kräften zu mildern, ohne doch die Erwartung hervorzurufen, als ob iuöglich sei. 
durch Eingreifen des Staates allen Ubein der Gesellschaft ein Ende zu machen. Mil den sozialen 
Fragen eng verbunden erachte Ich die der Erziehung der heranwachsenden Jugend zugewendele 
Pslege. Muß einerseils eine höhere Bildung immer weiteren Kreisen zugänglich gemacht werden. 
so ist doch zu vermeiden, daß durch Halbbildung ernste Gefahren entstehen, dast Lebensansprüche 
geweckt werden, denen die wirtschaftlichen Kräfle der Nation nicht genügen können, oder durch ein- 
seitige Erstrebung vermehrten Wissens die erziehliche Aufgabe unberücksichtigt bleibe. Nur ein 
auf der gesunden Grundlage von Gotlesfurcht in einfacher Sille ausfwachsendes Geschlecht wird 
hinreichend Willenskraft besitzen, die Gefahren zu überwinden, welche in einer Zeit rascher wirt- 
schaftlicher Bewegung durch die Beispiele hochgesteigerter Lebensführung einzelner für die Ge 
samtheit erwachsen.“ 
Der Kaiser erklärt daher, auch dahin wirlen zu wollen, „dast der Versuchung zu unverhäl! 
niomäßigem Aufwande im össenklichen Dienst entgegengetreten werde. Jedem Vorschlage finan- 
zieller Resormen ist Meine vommteilsfreie Erwägung im voraus gesichert. . Die gröseeren 
und kleineren Verbänden im Staate verliehene Selbstwerwaltung halte ich für erspriestlich.“ Doch 
regt der Kaiser an, das Besteuerungsrecht dieser Verbände abzuschaffen und einc „vereinfachende 
Anderung der Gliederung der Behörden herbeizuführen. Sodann wendet er seinen lebhaften 
Anteil der deulschen Kunst und Wissenschaft zu und schließt: „Unbekümmert mu den Glanz ruhm. 
bringender Großthaten, werde Ich zufrieden sein, wenn dereinst von Meiner Regierung gesag! 
werden kann: sie sei Meinem Volke wohlthätig, Meinem Lande nützlich und dem Reiche ein 
Segen gewesen.“ 
Die amtliche Anzeige, die der Kaiser und König von seinem Regierungs- 
antritte dem Reichstag und Landtag zugehen ließ, beantworteten beide Parlamente 
mit schwungvollen Adressen an den Monarchen. Des Kaisers humaner milder Simmn 
offenbarte sich dann weiter in einem Gnadenerlaß vom 31. März, durch welchen die 
meisten wegen Majestätsbeleidigung, Verbrechen oder Vergehen in Bezug auf die Aus- 
übung staatsbürgerlicher Rechte, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Verletzungen 
der össentlichen Ordnung, Beamtenbeleidigungen und alle wegen Preßvergehen und 
Ubertretungen sowie wegen Verletzung des preußischen Vereinsgesetzes in Preußen 
erkaunten Strafen nebst den Kosten erlassen wurden. Dagegen wurde den wegen 
Hoch= und Landesverrats und wegen Verletzung des Sozialistengesetzes ergangenen 
Strasurteilen freier Lauf gelassen. Am 21. April folgte dann ein ebenso umfassender 
Gnadenerlaß für Militär und Marine. Auch an Auszeichnungen und Standes- 
erhöhungen ließ es der Kaiser nicht sehlen, und zwar wurden hierbei Männer von 
liberaler und selbst „deutschfreisinniger“ Gesinnung mehr berücksichtigt, als dies bis- 
her üblich gewesen. Fast die erste dieser kaiserlichen Gunsibezeigungen war aber 
die Ernennung des Staatssekretärs Grafen Herbert Bismarck zum Staatsminister 
(am 22. April). 
Das rege Interesse des Kaisers au den Regierungsgeschäften, seine Fürsorge für 
das Volk offenbarte sich, trotz der schweren Krankheit, bei zahlreichen Gelegenheiten. 
So richtete er schon zu Anfang April eine Kabinettsorder an den Kultusminister, be 
trefss des Umbaues des Berliner Doms, damit dieser zu einem „würdigen, der beden- 
tenden Anzahl seiner Gemeindemitglieder entsprechenden Gotteshause“ umgeschaffen
	        
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