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genden Verordnung vom 29. Juni 1821 an bis zum Ende des Kur-
staates zu gewinnen, so werden wir uns hüten müssen, die mei-
stens recht übertriebenen Klagen über die politischen Verhält-
nisse des Landes auch auf seine wirtschaftlichen Zustände zu über-
tragen. Zunächst ist es ganz unleugbar, daß die Finanzen des
Kurstaates während des ganzen 19. Jahrhunderts bis zum Verlust
seiner Selbständigkeit geradezu glänzende genannt werden können.
Staatsschulden gab es — etwas unerhörtes in der deutschen Staats-
geschichte — überhaupt nicht. Der Staat war reich, überreich.
Wie uns BÄHR a. a. O0. berichtet (S. 52 ff.) besaß der Staat
zunächst viele Domänen, er besaß ferner mehr als die Hälfte
des ganzen hessischen Waldes und damit über ein Fünftel
des gesamten Bodens des Landes. Außerdem besaß er den ge-
waltigen aus den Subsidiengeldern Englands für die Stellung
der hessischen Truppen im nordamerikanischen Freiheitskriege
herrührenden Staatsschatz, dessen Zinsen jährlich allein 300 000
Taler betrugen. Ferner waren dem Staate als Ablösungskapi-
talien für die Ablösung der bäuerlichen Lasten an die 6 Millionen
Taler zugeflossen. So war es möglich einen sehr großen, ja den
weitaus größten Teil der Staatsausgaben aus den Einkünften des
Staatsvermögens zu bestreiten, es brauchten nur sehr wenig Steuern
erhoben zu werden. So waren im letzten kurhessischen Budget,
dem für 1865, die Staatsausgaben insgesamt auf rund 5,3 Millio-
nen Taler, nicht ganz 16 Millionen Mark, veranschlagt. Die zu
zahlenden direkten Steuern betrugen nicht ganz 900000 Taler,
die indirekten sogar nur rund 117000. Jene machten also nur
2% der gesamten Staatsausgaben, jene nur etwa 17 % von ihnen
aus, ein wahrhaft idealer Zustand.
Richtig ist, daß Handel, Industrie und Gewerbe im ganzen
Kurstaate, abgesehen von den Hanauer Gebietsteilen, recht danie-
derlagen. Den Grund dafür bildete einmal die ungemein rück-
ständige ganz in mittelalterlichen Anschauungen befangene kur-
hessische Zunftordnung vom 5. März 1816 — vgl. über sie und