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wird. Denn Gott kann auch den unschuldig
Irrenden auf besonderem Wege seine Gnade zu-
teil werden lassen, so daß manche, welche nicht
zum sichtbaren Leibe der Kirche gehören, doch zu
ihrer unsichtbaren Seele, zur übernatürlichen
Gnadengemeinschaft gehören oder zu ihr gelangen
können. Ohne Schuld ist aber, wer in gutem
Glauben aus unverschuldeter Unwissenheit und
ohne Hartnäckigkeit außerhalb der Kirche steht.
Immerhin entbehren auch diese vieler Gnaden-
mittel der Kirche, weshalb der Satz, daß alle Re-
ligionen oder Konfessionen gleich gut seien, ver-
werflich und verworfen ist. Die politische Tole-
ranz im Gegensatz zum reformatorischen Satz:
cuius regio, illius religio, widerspricht an sich
dem Satz von der alleinseligmachenden Kirche, ist
aber für die modernen Verhältnisse notwendig,
selbst pflichtmäßig und deshalb auch durch öffent-
liche Verträge und völkerrechtliche Akte sanktioniert
(St Thomas, Summ. theol. 2, 2, qd. 10, a. 11;
Leo XIII., Enzykl. vom 1. Nov. 1885).
III. Grundlinien der Verfassung. Als
Reich Christi auf Erden ist die Kirche auf ihrem
Gebiete, d. h. in Lehre und Gnade, auf Grund
der Stiftung und Vollmacht Christi autonom,
bloß Gott verantwortlich. Da sie aber ihre Auf-
gabe als sichtbare Gemeinschaft durch Menschen
und unter Menschen zu erfüllen hat, so bedarf
sie einer eigenen Verfassung, und diese kann
in ihren Grundlinien nur von dem Stifter der
Kirche selbst gegeben, eine göttliche sein. Zu diesem
Zweck hat Jesus die Apostel und 72 Jünger
ausgewählt, unterrichtet und ausgesandt. Als
Zeugen und Gesandte des Herrn treten die Apostel
nach dem Pfingstfeste auch auf und werden als
solche anerkannt. In allen Handlungen und Er-
eignissen der jungen Kirche greifen die Apostel als
die berufenen Organe, als die mit der Vollmacht
Christi und der Kraft des Heiligen Geistes aus-
gerüsteten Gesandten entscheidend ein. Die Apostel-
geschichte und die Briefe des unmittelbar von Gott
berufenen Apostels Paulus sind Zeugen dafür.
Die Amter in der Kirche sind von Gott (1 Kor.
12, 28. Eph. 4, 11). Wenn die Apostel auch
von Land zu Land ziehen und in ihren Anord-
nungen die Mitwirkung der Gemeinden zu besserer
Durchführung in Anspruch nehmen, so sind sie
doch weit entfernt, sich als bloße Wanderprediger
(Missionäre) oder Gemeindebevollmächtigte zu be-
trachten. Der Apostel Paulus erwähnt die Be-
rufung der Urapostel durch Christus und reiht sich
denselben als ebenbürtig an (Gal. 1, 1 f). Wie
jene kann auch er Gehorsam im Namen Jesu
Christi fordern. Das allgemeine Priestertum
(1 Petr. 2, 1 ff) schließt, wie schon die Beziehung
auf das alttestamentliche Gottesvolk zeigt, das be-
sondere Priestertum nicht aus, sondern beweist
nur die gemeinsame Verbindung aller Erlösten
mit Gott. Ebensowenig widersprechen die beson-
dern Gnadengaben (#apolt##r#) für die Apostel,
Propheten, Lehrer und andere Organe der aposto-
Kirche.
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lischen Gemeinden (1 Kor. 12, 27 ff) dem von
Christus eingesetzten Apostolat und der kirchlichen
Verfassung; denn für den Anfang waren außer-
ordentliche Amter und Zeichen notwendig. Das
apostolische Amt im strengen Sinne ist davon in
der Heiligen Schrift durchgehends unterschieden,
wenn auch die Apostel alle Gaben in sich vereinigt
haben (1 Kor. 13, 1). Die Apostel wählten mit
Zustimmung der Gemeinden die Diakonen (Apg.
6, 1 ff) und Presbyter (14, 22) und legten ihnen
die Hände auf, damit sie vom Heiligen Geiste
gesetzt würden, die Kirche zu regieren (20, 28).
Die Namen Presbyter und Bischof wurden noch
promiscue gebraucht, doch erscheint schon in den
Pastoralbriefen eine sachliche Unterordnung und
eine Gliederung mit monarchischer Spitze (1 Tim.
5, 17). Indem aber die von den Aposteln ein-
gesetzten und geweihten Nachfolger und Stellver-
treter selbst wieder Bischöfe, Presbyter und Dia-
konen weihen, erteilen sie denselben mit der
Gnadengabe das Amt in der Kirche. Schon
Klemens von Rom nennt die Reihenfolge: Gott,
Christus, die Apostel, Bischöfe, Diakonen, und
unterscheidet bereits zwischen Klerikern und Laien.
Ignatius kennt nur in der Vereinigung der Gläu-
bigen mit dem Bischof das wahre christliche Leben;
Irenäus und Tertullian betonen für die Bischöfe
die apostolische Sukzession; Cyprian stellt die
Organisation der Kirche als eine vom Herrn ge-
gebene, von den Aposteln überlieferte, das Ge-
deihen der Kirche bedingende Einrichtung dar.
Sehr klar tritt bei ihm der Unterschied zwischen
der lehrenden und der hörenden Kirche hervor.
Das Tridentinum hat sich nachdrücklich für die
göttliche Einsetzung der Hierarchie und ihrer Glie-
derung ausgesprochen (sess. XXIII, c. 4, c. 6.
Catech. Rom. II, c. 7, 13. Vatic. sess. IV,
prooem.).
Die Kirchengewalt wird als Weihegewalt
(potestas ordinis) und Regierungsgewalt (po-
testas iurisdictionis) und die entsprechende Hier-
archie als hierarchia ordinis und iurisdictionis
unterschieden. Die Weihegewalt fließt aus der
rechtmäßigen Ordination und kann wegen des
character indelebilis nie verloren gehen; nur
das Recht, dieselbe erlaubterweise auszuüben, kann
entzogen werden. Sie bezieht sich auf das Opfer,
die Sakramente und Sakramentalien. Dagegen
ist die Regierungsgewalt die Summe der Befug-
nisse, welche die Kirche zur Leitung der Gläubigen
(mystischer Leib Christi) besitzt. Als Lehramt
(potestas magisterül) und Hirtenamt (potestas
regiminis) fließt sie aus der Sendung durch
Christus (kanonische Sendung) und ist durch Zeit
und Umstände bestimmt. Nur für wenige Akte
(Bußsakrament, weil in Form eines Urteils ge-
spendet) sind beide Gewalten notwendig. Die
Ausübung dieser Gewalten ist aber wieder durch
die Gliederung der Hierarchie geordnet. Die
Hierarchie der Weihegewalt besteht aus Bischöfen,
Priestern und Diakonen. Nach unten hat die