48 Auswärtige Politik. I. Buch.
reichere Früchte versprach, je geduldiger wir warteten, bis für seine Realisierung der
Augenblick gekommen war, der früher oder später kommen mußte, hatte sich der da-
malige Botschafter in London, Graf Paul Hatzfeld, besonders verdient gemacht, den
Fürst Bismarck einst als das beste Pferd in seinem diplomatischen Stall zu bezeichnen
pflegte. Das Bagdadbahnprojekt, das aus der im Herbst 1898, nur wenige Monate
nach der Annahme der ersten Flottenvorlage unternommenen und in jeder Beziehung
geglückten Kaiserreise nach Palästina hervorwuchs, eröffnete zwischen dem Mittellän-
dischen Meer und dem Persischen Golf auf den alten Weltströmen Euphrat und Tigris
und längs ihrer Ufer deutschem Einfluß und deutschem Unternehmungegeist Gebiete,
die an Fruchtbarkeit und großen Zukunftsmöglichkeiten kaum zu übertreffen sind. Wenn
irgendwo kann in Mesopotamien von unbegrenzten Aussichten gesprochen werden. Das
Deutsche Reich ist heute nicht nur seinen wirtschaftlichen Interessen, sondern auch seinen
weltpolitischen Machtmitteln nach eine Weltmacht geworden, eine Weltmacht in dem
Sinne, daß der Arm deutscher Macht in die entferntesten Gegenden der Welt zu langen
vermag, und nirgends ein deutsches Interesse ungestraft verletzt werden kann. Der
Kreis deutscher Macht ist tatsächlich durch den Bau unserer Flotte über die Welt aus-
gebreitet, zum Schutz der über die Welt verbreiteten deutschen Interessen. Als ein
Instrument nationalen Schutzes, als eine Verstärkung nationaler Sicherheit haben wir
unsere Flotte geschaffen und sie anders nie verwandt.
Die Aufgabe, der neuen deutschen Weltpolitik das machtpolitische Fundament zu
gewinnen, darf heute im großen und ganzen als gelöst angesehen werden. Gewiß ist das
Deutsche Reich nur ungern als Weltmacht von denjenigen Staaten begrüßt worden, die
jahrhundertelang gewohnt waren, die Fragen der überseeischen Politik allein zu entscheiden.
Unser weltpolitisches Recht wird aber heute in aller Herren Länder anerkannt, wo die
deutsche Kriegsflagge sich zeigt. Dies Ziel mußten wir erreichen. Es war gleichbedeutend
mit der Schaffung unserer Kriegsflotte und konnte nur erreicht werden unter gleichzeitiger
Uberwindung erheblicher Schwierigkeiten sowohl auf dem Gebiete der auswärtigen,
der internationalen wie der inneren, der nationalen Politik.
Während des ersten Dezenniums nach Einbringung der Flottenvorlage von 1897
hatten wir eine Gefahrzone erster Ordnung in unserer auswärtigen Politik zu durch-
schreiten, denn wir sollten uns eine ausreichende Seemacht und eine wirksame Ver-
tretung unserer Seeinteressen schaffen, ohne noch zur See genügende Verteidigungestärke
zu besitzen. Unbeschädigt und ohne Einbuße an Würde und Prestige ist Deutschland
aus dieser kritischen Periode hervorgegangen. Im Herbste 1897 brachte die „Saturday
Review“ jenen berühmten Artikel, der in der Erklärung gipfelte, daß, wenn Deutschland
morgen aus der Welt vertilgt würde, es übermorgen keinen Engländer gäbe, der nicht
um so reicher sein würde und der mit den Worten schloß: „Zermaniam esse delendam.“
Zwölf Jahre später erklärten zwei große und nicht besonders deutschfreundliche englische
Blätter, daß die Stellung Deutschlands eine größere und stärkere sei, als sie seit dem Kück-
tritt des Fürsten Bismarck je gewesen wäre. Seit 1897 hatte sich eine bedeutsame Ent-
wicklung vollzogen, die den Mitlebenden nicht immer zum Bewußtsein gekommen ist,
die aber die Nachwelt erkennen und würdigen wird. Während dieser Jahre haben wir
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