122 HNes Veutsche Keich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 12.)
nicht zustande gekommenen Regierungsentwurfes: gesetzliche Wahlkreis-
einteilungen nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1900, die relative
Mehrheit und einjährige Steuerleistung. Der Antrag der Liberalen ver-
langt Proportionalwahlen, wobei acht Regierungsbezirke als Wahlkreise
gelten; Steuerleistung ist keine Vorbedingung. Ein Eventualantrag der
Liberalen will, daß die Wahlkreiseinteilung nach der jeweiligen letzten
Volkszählung durch königliche Verordnung festgestellt werde, und verlangt
dabei absolute Mehrheit. Die Sozialdemokraten beantragen die Vorlage
eines Wahlgesetzes, wonach allen volljährigen Bayern das direkte, geheime,
gleiche Wahlrecht unter Anwendung der Proportionalwahl zugesichert wird.
Abg. Geiger (3.) erklärt das Proportionalsystem für ungeeignet
für das bayerische Volk. Die Regierung habe mit dem Erlaß ihrer Wahl-
ordnung (S. 96) parteiisch zu gunsten der Liberalen gehandelt, daher
hätte das Zentrum zum Minister des Innern kein Vertrauen mehr. Abg.
Dr. Hammerschmidt (lib.): Die letzte Wahlkreiseinteilung stelle eine Be-
günstigung des Zentrums dar. Das Proportionalsystem sei das gerechteste
aller Wahlsysteme, wie auch Dr. Orterer anerkannt habe; die Mehrheits-
wahlen gäben oft ein unrichtiges Bild der Parteienstärke. Abg. Segitz
(Soz.): Bei den Proportionalwahlen müsse das ganze Land einen Wahl-
kreis bilden. Die augenblickliche Wahlkreiseinteilung sei ungerecht, die
Wählerlisten vielfach unordentlich. Ministerpräsident v. Podewils ver-
teidigt die Haltung der Regierung in der Frage der Wahlkreiseinteilung.
— Am 13. Oktober werden nach langer, teilweise sehr erregter Debatte, in
der namentlich die Liberalen den Ministerpräsidenten scharf angreifen, die
Anträge des Zentrums und der Eventualantrag der Liberalen an einen
Ausschuß von 18 Mitgliedern verwiesen, der Hauptantrag der Liberalen
und der Antrag der Sozialdemokraten werden abgelehnt.
12. Oktober. (Reichstagswahl.) Bei der Ersatzwahl in
Zabrze-Kattowitz wird Korfanty (Pole) mit 23 208 Stimmen ge-
wählt. Voltz (lib.) 7682, Kapitza (3.) 7947, Morawski (Soz.)
4781 Stimmen.
12. Oktober. (Bayern.) Der „Bayerische Kurier“ schreibt
über das durch Abg. Geiger dem Grafen Feilitzsch ausgesprochene
Mißtrauen:
„Dieses Mißtrauensvotum wird seine Folgen haben, denn es wird
durchgeführt werden, genau so scharf wie gegen den Grafen Crailsheim,
ja jetzt noch weit ergiebiger, weil das ganze Budget noch vorliegt. Die
Staatsregierung wird sich entschließen müssen, ob sie sich auf Seite des
Grafen Feilitzsch stellt. Ohne den Grafen Feilitzsch wird die Landtagssession
einen normalen Verlauf nehmen, mit ihm gibt es Wirren, wobei man
nicht weiß, wer noch weiter von den Ministern von ihnen mitgerissen wird."“
12. Oktober. Die „Kölnische Zeitung“ schreibt über die Ent-
hüllungen des „Matin“ hinsichtlich eines englisch-französischen Ein-
verständnisses gegen Frankreich (s. Frankreich):
„Die Enthüllungen, deren Urheberschaft in der ganzen Welt über-
einstimmend auf Herrn Delcassé zurückgeführt wird, haben sowohl in
Frankreich wie in England starkes Unbehagen hervorgerufen und nament-
lich in England wird vielfach der Versuch gemacht, die Angaben über das
Angebot kriegerischer Hilfe Englands als völlig unbegründet und somit