Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

336 DIE GEDENKTAFEL IN BUCHLAU 
den langen Jahren unserer gleichzeitigen amtlichen Tätigkeit nie versagt 
haben, meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Zugleich bitte ich Eure 
Durchlaucht, die Versicherung entgegennehmen zu wollen, daß ich die so 
weit zurückreichenden freundschaftlichen Beziehungen, welche mir mit 
Ihnen zu unterhalten vergönnt war, zu den angenehmsten Erinnerungen 
zähle, welche ich aus der Zeit meiner amtlichen Tätigkeit in das Privat- 
leben hinübernehme.“ 
Es war eine eigentümliche Fügung, daß Goluchowski, der in Petersburg 
anfänglich großem Mißtrauen begegnet war, mit dem 1903 in Mürzsteg 
zwischen Österreich und Rußland abgeschlossenen Übereinkommen eine 
Periode ruhiger und freundlicher Beziehungen zwischen den beiden alten 
Rivalen auf der Balkanhalbinsel einleiten konnte, während Aehrenthal, 
der sich nur zu oft in St. Petersburg im Gegensatz zu dem Polen Golu- 
chowski als wahrer Russenfreund geriert und drapiert hatte, es fast zum 
Bruch mit Rußland treiben sollte. Es war das mir ein neuer Beweis für die 
Richtigkeit der Bemerkung, die mir einst ein rumänischer Minister, Herr 
Vernesco, machte, als ich, damals ein junger Gesandter, ihn an mir früher 
von ihm gegebene, aber, nachdem er an die Macht gekommen war, nicht 
gehaltene Zusagen erinnerte: „Vous ne sauriez croire, mon cher monsieur, 
ä quel point le gouvernement change les id&es d’un homme.“ Es ist deshalb 
fast immer falsch, aus der früheren Haltung, den früheren Sympathien und 
Antipathien eines Politikers auf die Richtung zu schließen, die er als lei- 
tender Minister einschlagen wird. D faut le voir a l’oeuvre. Es empfiehlt 
sich, abzuwarten, wie er manövrieren wird, erst zu sehen, wie er sich an- 
raucht, um wieder einmal ein Bismarcksches Bild zu gebrauchen. 
Ich weiß nicht, ob die Gedenktafel, die Graf Berchtold im Oktober 1908 
in seinem Schloß Buchlau anbringen ließ, um der Nachwelt zu verkünden, 
daß hier Aloys Aehrenthal und Alexander Iswolski am 15. September 1908 
über die europäischen Angelegenheiten beraten hätten, noch vorhanden ist 
oder ob die Regierung des tschechisch-slowakischen Staates, dessen strup- 
piges Karyatidenhaupt Friedrich Hebbel mit ahnungsvollem Grauen sich 
in der Zukunft erheben sah, dieses Erinnerungszeichen an die „‚fluchwürdige 
Vergangenheit‘ inzwischen entfernt hat. Über die Besprechung zwischen 
den beiden leitenden Ministern habe ich nachträglich die Aehrenthalsche 
und die Iswolskische Version vernommen. Mein erster Eindruck, den die 
Zeit und alles, was ich später hörte und sah, nur bestärkte, ist, daß das for- 
male Recht auf der Seite von Aehrenthal war, der auch schlauer operierte, 
daß aber sein Verhalten nicht ganz „fair‘‘ war, um ein in diesem Fall zutref- 
fendes englisches Wort anzuwenden. Gewiß war es unklug und unbesonnen 
von Iswolski, daß er Aehrenthal, nachdem er ihm sein grundsätzliches Ein- 
verständnis mit der in Aussicht genommenen Annexion ausgesprochen
	        
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