V. Kirchen und Staat. 325
der Einlassung der Träger des landesherrlichen Kirchenregiments. Von dem
freien Verzichte darauf würde die Durchführbarkeit des Systems schlechthin
abhängig sein. Ein solcher Verzicht der deutschen Landesherrn ist nicht zu
erwarten. Auf die in jenem Konstruktionsversuche ihnen zugedachte blutleere
Schirmherrschaft werden sie nicht eingehen können. Denn es handelt sich nicht
um eine Machtfrage. Das landesherrliche Kirchenregiment ist nicht bloß ein
Inbegriff von Rechten; es steht nicht weniger unter dem Gesichtspunkte einer
durch den Gang der deutschen Geschichte dem Protestantismus gegenüber
übernommenen Pflicht und Verantwortlichkeit. Jedenfalls ist das Eintreffen
dieser Voraussetzung etwas so unbestimmbares, daß es nicht mit Wahrschein-
lichkeit in eine kirchenpolitische Zukunftsrechnung eingestellt werden kann.
Endlich aber steht der Trennung die Notwendigkeit einer umfassenden
Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Staat und den Kirchen
unüberwindlich entgegen. Auch hier ist die Rechtslage in Deutschland so
ziemlich umgekehrt wie in Frankreich. Das meiste immobiliare Kirchenver-
mögen in Frankreich ist ursprüngliches Staatsvermögen. Es war eine Art von
Großmut, wenn der französische Staat diese Vermögensbestandteile den Kirchen
auch für die Zukunft überläßt, solange Kultusvereine an einem bestimmten
Ort bestehen. In Deutschland haben die Säkularisationen des 19. Jahrhunderts
das gegenteilige Verhältnis geschaffen. Aus ihnen sind den einzelnen Staaten
Verbindlichkeiten zu fortgesetzten Leistungen an die einzelnen Kirchengesell-
schaften, in landesrechtlich wiederum außerordentlich verschiedenem Maße,
erwachsen. Selbst wenn jene Verbindlichkeiten nur als moralische fortbestehen,
fällt dies bei der Entscheidung des Übergangs zu einem neuen kirchenpolitischen
System um so schwerer ins Gewicht. Eine einmalige Ablösung der bestehenden
Verpflichtungen ist nach den Vermögensverhältnissen der deutschen Staaten
tatsächlich unmöglich. Solange aber staatliche Kultusbudgets bestehen, ist
eine Trennung von Staat und Kirche nicht, oder, wie in Belgien, nur scheinbar
vorhanden.
Wie stellen sich hiernach die kirchenpolitischen Aufgaben der Gegenwart
und die Ziele der Zukunft? Ich kann auch heute darauf nur antworten, wie
ich es schon in meiner Schrift von 1902 über die Bedeutung des Toleranzantrages
getan habe. Versuche, die Entwickelung auf dem Weg zur Trennung von
Staat und Kirche zu überstürzen, widerstreiten den Gesetzen gesund
organischer Entwickelung und sind für Deutschland aussichtslos. Mit den
bisherigen kirchenpolitischen Systemen aber ist bei der fortschreitenden Staats-
kirchengesetzgebung in der Art Abrechnung zu halten, daß anachronistische
Ansprüche des Kirchenstaatstums ebenso entschieden zurückgewiesen, als
anderseits Rückfälle in das Staatskirchentum vermieden und bestehende
Reste veralteter Beschränkungen der Kirchenfreiheit weitherzig beseitigt werden.
Nicht weniger wäre aber auch die Verhältnisordnung nach den Ansprüchen der
kirchlichen Koordination grundsätzlich aufzugeben. Die Grenzlinie zwischen
Staat und Kirche kann allein durch die souveräne Staatsgesetzgebung gezogen,
dagegen kann über unveräußerliche Hoheitsrechte des Staates nicht in Ver-
Unmöglichkeit
der Vermögens-
auseinander-
setzung.
Aufgaben der
Gegenwart.
Ziele der
Zukunft.