.„W 21. 181
1. wenn die Voraussetzungen des § 1666 oder des § 1838 des Bürgerlichen Gesetz-
buchs vorliegen und die Zwangserziehung erforderlich ist, um die sittliche oder körperliche Ver-
wahrlosung des Minderjährigen zu verhüten;
2. wenn der Minderjährige eine strafbare Handlung begangen hat, wegen deren er
in Anbetracht seines jugendlichen Alters strafrechtlich nicht verfolgt werden kann, und mit
Rücksicht auf die Beschaffenheit der Handlung, die Persönlichkeit der Eltern oder sonstigen
Erzieher und die übrigen Lebensverhältnisse des Minderjährigen seiner weiteren sittlichen Ver-
wahrlosung nur durch die Zwangserziehung vorgebeugt werden kann;
3. wenn die Zwangserziehung zur Verhütung des völligen sittlichen Verderbens des
Minderjährigen nothwendig ist.
Die Zwangserziehung soll nach Vollendung des sechzehnten Lebensjahres eines Minder-
jährigen nur in besonderen Fällen angeordnet werden.
Art. 2.
Die Staatsanwaltschaften, die Polizeibehörden und die Schulbehörden sind verpflichtet,
die zu ihrer Kenntniß gelangenden Thatsachen, welche die Zulässigkeit der Zwangserziehung
begründen, dem Vormundschaftsgerichte mitzutheilen.
Art. 3.
Vor der Anordnung der Zwangserziehung hat das Vormundschaftsgericht, wenn es ohne
erhebliche Verzögerung und ohne unverhältnißmäßige Kosten geschehen kann, die Eltern und
den gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen, sowie den Minderjährigen selbst, wenn er das
vierzehnte Lebensjahr vollendet hat, ferner das Pfarramt und, sofern der Minderjährige noch
eine Schule besucht, die zuständige Schulbehörde zu hören. ·
Die Akten sind sodann der Distriktsverwaltungsbehörde zur Aeußerung mitzutheilen.
Die Distriktsverwaltungsbehörde hat der Heimatgemeinde und, wenn der Minderjährige in
Bayern eine Heimat nicht besitzt, dem Kreisfiskalate Gelegenheit zu geben, sich über die
Anordnung und die Art der Zwangserziehung zu äußern.
Art. 4.
Das Vormundschaftsgericht hat über die Anordnung der Zwangserziehung einen förm—
lichen Beschluß zu fassen, in welchem der Eintritt der gesetzlichen Voraussetzungen unter
Bezeichnung der für erwiesen erachteten Thatsachen festzustellen ist.
Bei Gefahr auf Verzug kann das Vormundschaftsgericht, auch bevor das Verfahren
abgeschlossen ist, durch einen schriftlichen, mit Gründen versehenen Bescheid eine vorläufige
Unterbringung anordnen.
355