Full text: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen vom Jahre 1860. (26)

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3) ob das taubstumme Kind die in seinem Wahrnehmungskreise gemachten Erfahr- 
ungen, sowie auch seine Bedürfnisse und Wünsche durch Geberden so auszu- 
drücken vermöge, daß die ihm nahen Personen ohne viele Mühe errathen können, 
was es mittheilen will und ob es auch in gleicher Weise gegebene Mittheilungen 
Anderer zu verstehen im Stande sei; 
4) ob es Zahlensinn offenbare, indem es das Wieviel gleichartiger Dinge, z. B. bei 
Personen, Thieren, Früchten, Münzen u. s. w. mittelst seiner Finger anzugeben 
vermöge, und zwar auch dann, wenn die Zahl derselben bei der Exploration absicht- 
lich vermehrt und vermindert wird. 
Einzelne Sprachlaute und selbst manche leichte Wörter, welche das taubstumme Kind kraft 
eines ihm gebliebenen, aber zur Erlernung der Sprache durch den Umgang unzureichenden Ge- 
hörgrades hervorbringt, können an sich allein noch kein sicheres Zeugniß für das Vorhandensein 
der gewünschten Fähigkeiten abgeben. Noch weniger vermag dieß das Nachschreiben vorgeschrie- 
bener Worte oder ein gewisses mechanisches Geschick zu allerlei Handarbeiten und Künsteleien. 
IV. Für Kinder, welche bei vollkommenem Gehör dennoch stumm geblieben sind, 
oder welchen, wenn sie auch einzelne Woörter nachzusprechen gelernt haben, dennoch das Com- 
binationsvermögen abgeht, steht in einer Unterrichtsanstalt für, geistig gesunde Taubstumme 
keine Hülfe zu erwarten, weil ihnen eben jenes Verstandesvermögen gebricht, in welchem die 
hier gesuchte Bildung bedingt ist. Solche blödsinnig zu nennende Kinder würden vielmehr 
nach Befinden zur Aufnahme in eine andere Anstalt geeignet sein. Dagegen konnen 
V. solche, noch im schulpflichtigen Alter stehende Kinder, welche durch Krankheit das 
Gehör verloren haben, aber noch im Besitze der Sprache sind, zu ihrer völligen Aus- 
bildung in eine Taubstummenanstalt aufgenommen werden. 
VI. Ueber die unter IIII b. 1— 4 bemerkten Umstände sind Zeugnisse glaubwür- 
diger Personen, welche öfter Gelegenheit gehabt haben, das Kind zu beobachten und dar- 
über zu urtheilen vermögen, sowie bei den unter V. erwähnten Kindern die Schulzeugnisse 
beizubringen. 
Jedoch dient es zur Abkürzung der Sache, wenn es den Eltern oder Vormündern möglich 
ist, das Kind zuvor der Direction einer jener Anstalten persönlich vorzustellen und ein auf 
eigene Ansicht gegründetes Zeugniß derselben über die Aufnahmefähigkeit des Kindes dem 
Gesuche beizulegen. 
VII. Nur solche taubstumme Kinder, welche das achte Lebensjahr zurückgelegt und das 
zwölfte Jahr noch nicht überschritten haben, können in die Anstalten aufgenommen werden, 
da nur bei solchen ein günstiger Erfolg von dem Unterrichte zu erwarten ist. Besonders ist 
von den Directionen die Erfahrung gemacht worden, daß nach zurückgelegtem zwölften Lebens- 
jahre die Sprachorgane der Taubstummen schon ihre zur Bildung der Articulation nöthige
	        
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