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Das deutsche Reich und seine einzelnen Slieder.
deutschen Sprache entgegentreten. (Bravo.) Es ist für die Eingesessenen
ein Bedürfniß, daß sie den Staat, in dem sie leben aus eigenem Urtheil zu
beurtheilen vermögen, und nicht auf die kriegerischen Bilder hingewiesen wer-
den, welche sie aus den Meinungen anderer klügerer Leute gewinnen, die ihnen
das Deutsch in ihre eigene Sprache übersetzen. Jeder Staatsbürger muß
in die Lage versetzt werden sich eine Kritik über die Regierung selbst machen
zu können, und dazu muß die deutsche Sprache mehr als bisher gefördert
werden, und alle unsere Gesetze und Vorlagen werden von dieser Tendenz
beseelt sein. Wir haben lange geschwankt und hundert Jahre gewartet auf
die Ergebnisse eines andern Verfahrens; jetzt aber werden wir uns ein anderes
zum Muster nehmen, etwa wie Frankreich im Elsaß zur großen Befriedigung
der Elsäßer vorgegangen ist. Ich habe jetzt noch eines hinzuzufügen, nachdem
ich über die katholische Opposition und, wie ich glaube, nicht polemisch ge-
sprochen habe; eine Polemik liegt mir fern, m. HH., ich habe den aufrichtigen
Wunsch mit Ihnen zum Frieden zu kommen, sobald Sie es uns möglich
machen, es wird Ihnen aber viel leichter sein, wenn Sie sich loslösen von
allem, was diesen Frieden erschwert und mit der-Stellung der katholischen
Kirche nicht in nothwendigem Zusammenhang steht. Was nun die Gegner
dieser Vorlage auf conservativer Seite betrifft, so habe ich mich ver-
geblich bemüht, mehr als zwei Gründe für die Begründung ihrer Ansichten
zu bekommen: die eine davon war ein gewisses Mißtrauen gegen das Ver-
halten der sogenannten geistlichen Abtheilung bei der Regierung. Ich muß
mit Bedauern wahrnehmen, daß sich die Herren im ganzen kein Wohlwollen
zu erwerben gewußt haben; man klagt darüber: sie seien nicht immer
schonend für einzelne Rechtsverhältnisse gewesen. Das liegt ja auf einer an-
dern Seite, mit der das Gesetz nichts zu thun hat. Die Selbstständigkeit der
Provincialregierung in Bezug auf die Anstellung und die Absetzung von Schul-
inspectoren können wir aus finanziellen Gründen nicht von einer gewissen
Centralisation frei machen. Der Staat muß eine gewisse Controle dafür
haben, und die Finanzlage schließt eine specielle Begründung der Abtheilung
nicht aus, und ich möchte Sie bitten, m. Hp., wenn Sie solche Klagen haben,
lernen Sie doch von den Gegnern auf dieser Seite, schweigen Sie doch nicht
über Mißbräuche, welche Sie erkennen. Die Regierung wird Ihnen sehr
dankbar sein, wenn Sie gegen die geistliche Abtheilung klagen, über Maß-
regeln, die ihre Befugnisse überschreiten, und wenn Sie denn diresen Klagen
in der Presse, in Anträgen, in Interpellationen Ausdruck geben. Das zweite
Motiv geht dahin: der jetzigen Regierung könne man noch allenfalls ein ge-
wisses Vertrauen schenken, aber könne doch nicht wissen, welche ihr folgen
werde. Da muß ich Sie doch bitten, m. HH., verfallen Sie nicht in den
Fehler, den Sie mit Recht der regelmäßigen Opposition zum Vorwurf machen,
auf die Meinung, daß man die Regierung wie ein schädliches wildes Thier
behandeln müsse, das nicht eng genug angebunden werden könne (Heiterkeit) —
daß Sie sie nicht betrachten, wie eine vernünftige, auf Ernennung des Königs
beruhende, für die Wohlfahrt des Landes auf alle Zeit sorgende Körperschaft,
sondern daß auch Sie auf der conservativen Seite uns als eine verdächtige
Gesellschaft behandeln. Dadurch beschränken Sie die Freiheit der jetzigen Re-
gierung für die Sicherheit und das Wohl des Landes zu sorgen, in einem
Maße, das anzunehmen der Regierung unmöglich ist. Meine Herren, jeder
Tag hat seine eigene Sorge, und wenn eine neue Regierung kommt, so glaube
ich auch noch nicht, daß sie so beschaffen sein wird, daß sie mit dem Staat
abfährt in jene gottlose und heidnische Welt, die Hr. Windthorst geschildert
hat; sie wird doch immer eine monarchische sein. Bedenken Sie außerdem die
Wandelbarkeit dieser Verhältnisse: wir haben Zeiten gehabt, wo durch zwei
Auflösungen der Kammer die sehr starke conservative Partei auf 11 Mit-
glieder zusammenschmolz, weil der Wind, welcher von der Negierung ausging,
die Segel nach der anderen Seite hin blähte. Die Vorsorge gegen eine Re-