Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. 103
sondere Art des Bundesstaates in jener Zweckbestimmung des
‚Einganges eine nothwendige und unüberschreitbare Grenzbe-
stimmung gegenüber den Einzelstaaten finden will, dann ist
der Wortlaut für diesen Versuch nicht nur gänzlich ungeeig-
net, sondern geradezu widersprechend. Wenn dort gesagt
ist: „zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb
desselben gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der Wohlfahrt
des deutschen Volkes“ so erkennt man darin leicht die her-
kömmliche Formel für die Feststellung des allgemeinen Staats-
zweckes wieder: Rechtsschutz und Förderung der Wohlfahrt.
Man mag versuchen die zwiespaltige Formel theoretisch auf
ein einfaches Prinzip zurückzuführen, sie ist für die praktische
Wirksamkeit jedes Staates weit genug.
Als Vorschrift gefasst würde die Bezeichnung der Bundes-
zwecke im Verfassungseingange nicht eine Begrenzung, son-
dern eine Anweisung auf die Herstellung des deutschen Ein-
heitsstaates im verfassungsmässigen Wege enthalten. Sie ist
in Wahrheit sowohl gegenüber den Kompetenzbestimmungen
des a. 4. der Verfassung, als gegenüber den Bestimmungen des
Artikel 78. tiber Verfassungsänderungen rechtlich ohne
jeden Werth. Sie hat nur diesen, aber auch den hohen Werth,
authentisch zu bekunden, dass man bei der Entstehung des
norddeutschen Bundes wie des deutschn Reiches die Begriin-
dung eines Staatswesens vor Augen hatte.
Nach dem Allen gelangen wir zu dem Resultate: Die
dispositiven Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung
beginnen mit dem zweiten Satze des Einganges. Der erste
Satz des Einganges ist zwar formell: Bestandtheil der Ver-
fassung, er ist aber nur enunciativ.” Er kann nicht den recht-
lichen Entstehungsgrund irgend eines und insbesondere nicht
den eines vertragsmässigen Verhältnisses der einzelnen
deutschen Staaten unter einander darstellen.
Die Entstehungsgeschichte und der Inhalt des Einganges
der deutschen Reichsverfassung vermögen es nicht nur nicht
zu begründen, sondern sie widerlegen, soviel an ihnen liegt,
den Satz, dass die Grundlagen des deutschen Bundesverhält-