Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. 119
eine rechtliche Doppelstellung der würtembergischen Militär-
konvention.
Sie bildet auf der einen Seite in ihrer Totalität ein Son-
derrecht Würtemberg’s, welches durch die ausdrückliche Be-
zugnahme der Verfassung auf dieselbe zu einer Vorschrift der
Reichsverfassung geworden ist. Die Summe ihrer Vorschriften
bestimmt die verfassungsmässige Grenze der Kompetenzen des
Reiches gegenüber der Selbständigkeit Würtemberg’s. In
dieser negativen Funktion sind ihre Vorschriften allerdings
Bestandtheile der Reichsverfassung und zwar mit der Wirkung,
dass jede Abänderung der Kompetenzen des Reiches, sei es
der gemeingültigen sei es der besondern gegenüber Würtem-
berg, welche eine Abänderung dieser Vorschriften bewirkt,
nur im Wege des zweiten Alinea des Artikel 78 der Reichs-
verfassung erfolgen kann, d. h. dass sie zu ihrer Gültigkeit die
Zustimmung Würtemberg’s im Bundesrathe voraussetzt.
Allein — und dies ist die andere Seite — solange nicht
eine in die Konvention eingreifende Erweiterung der Kompe-
tenzen des Reiches in den hierfür durch die Reichsverfassung
vorgesehenen Formen stattfindet, solange bilden die Bestim-
mungen der Militärkonvention in ihrer positiven Funktion,
obwohl sie die Rechte und Pflichten eines Einzelstaates zum
Reiche regeln, vertragsmässige Zusicherungen an Wür-
temberg. Sie eximiren diesen Staat von der Reichsgesetz-
gebung, den Befehls- und Regulativgewalten des Kaisers, so-
weit dieselben nicht ausdrücklich vorbehalten sind und setzen
in dem hierdurch bestimmten Umfang eine Suspendirung der
gemeingültigen Unterordnung unter das Reich und damit eine
Selbständigkeit Würtemberg’s fest, welche dasselbe befähigt,
als Vertragspartei, in ein vertragsmässiges, wenn auch nur
das Verfassungsverhältniss näher regelndes Rechtsverhältniss
zum Reiche zu treten. Alle Aenderungen dieser Vorschriften
daher, welche nicht durch eine verfassungsmässige Kompetenz-
erweiterung des Reiches bewirkt werden, können nurim Wege
des Vertrages zwischen dem Reiche und Würtemberg getroffen
werden. Es ist,eine weitere Frage ob zu einem solchen Ver-