204 Drittes Kapitel.
nommen werden, dass die norddeutsche Verfassung nicht unter
Hintansetzung der Rechtsgleichheit aller die Stimmenplurali-
tät einzelner Staaten mit einem andetn Schutze ausrüsten
wollte, als die nur einfachen Stimmen. Denn sie haben für
die Berechtigten das ganz gleiche rechtliche Interesse, als die
Stimmenpluralität für einzelne Staaten. Der geforderte gleiche
Rechtsschutz für das Stimmrecht jedes Staates aber würde
immer wieder diejenige Fassung des Grundsatzes voraussetzen,
die er im spätern Alinea 2 nicht gewonnen hat — dahin näm-
lich: Diejenigen Vorschriften der Verfassung, durch welche
bestimmte Rechte (anwendungsweise die Stimmrechte) der
einzelnen Bundesstaaten in deren Verhältniss zur Gesammt-
heit festgestellt sind, u. s. w.
Hiernach ergiebt sich, dass, selbst die stillschweigende
Geltung des jetzigen Alinea 2 des Artikel 78 zur Zeit des
norddeutschen Bundes angenommen, dasselbe eine Anwendung
aufdie Vorschriften des Artikel 6 der norddeutschen Verfassung
über die Stimmrechte der einzelnen Staaten nicht würde ge-
funden haben, dass vielmehr auch dann nur jene Auffassung
der Stimmrechte der Einzelstaaten im Bundesrathe berechtigt
gewesen wäre, welche dieselben als die Anwendung eines
allen gemeinsamen Grundsatzes auf jeden einzelnen Bundes-
staat ansieht.
Dieses Ergebniss findet seine volle Bestätigung durch
zwei entscheidende Präzedenzfälle.. Sowohl der Vertrag zwi-
schen dem norddeutschen Bunde und den süddeutschen Staa-
ten über die Fortdauer des Zoll- und Handelsvereines vom
8. Juli 1867, als auch der würtembergische und bairische Ver-
fassungsvertrag vom 23. und 25. November 1870, welche tief
greifende Aenderungen im Stimmenverhältniss des Bundes-
rathes — der erste für gewisse Angelegenheiten und auf Zeit,
die letztern für alle Reichsangelegenheiten und für immer —
bewirkten, sind nur durch die Majorität des Bundesrathes
und nicht durch die in Konsequenz der zurückgewiesenen An-
sicht nothwendige Einhelligkeit der norddeutschen Bundes-