Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. 205
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staaten angenommen worden ®. Der entscheidenden Bedeu-
tung der Präzedenzfälle kann man auch nicht entgegenhalten»
dass die Regelung der Beziehungen des Bundes zu den süd-
deutschen Staaten und beziehentlich die Aufnahme der süd-
deutschen Staaten in den Bund: nach Artikel 79 der nord-
deutschen Verfassung durch „besondere Verträge* und be-
ziehentlich „im Wege der Gesetzgebung“ Pflicht war. Denn
die Pflicht entband nicht von der Einhaltung derjenigen Er-
fordernisse, welche die Gültigkeit des Vertrages und Gesetzes
verfassungsmässig voraussetzte®. Daher denn auch die Vor-
lage jener Verträge an den norddeutschen Reichstag ausdrück-
lich bemerkte, dass sie mit der „nach Artikel 78. der Bundes-
verfassung erforderlichen Mehrheit“ im Bundesrathe Zu-
stimmung gefunden haben. |
4. So bliebe die Exemtion Oldenburg’s vondem preus-
sischen Chausseegeldtarif — eine Vorschrift, die in dem Zoll-
vereinigungsvertrage verdeckt lag. Sie würde schwerlich ge-
nügenden Anhalt geboten haben, um einen allgemeinen Ver-
fassungsgrundsatz über eine besondere Gattung von Ver-
fassungsänderungen daraus abzuleiten. Man wird nur anneh-
men dürfen, dass im praktischen Zweifel, ob die Exemtion
Oldenburg’s in den regelmässigen Formen der Verfassungs-
änderung beseitigt werden konnte oder ob seine Zustimmung
in Analogie zu der Zusicherung an die Hansestädte eingeholt
werden musste, die Entscheidung zu Gunsten dieser Analogie
getroffen sein würde.
Und so ergiebt sich, dass die Vorschrift des jetzigen
Alinea 2 des Artikel 78 der deutschen Reichsverfassung zur
Zeit des norddeutschen Bundes anerkannten oder auch nur
9» „Einstimmig“ ist nur der badisch-hessische Verfassungsvertrag ange-
nommen worden.
%9 Ebenso Hirsemenzel, die Verfassung des norddeutschen Bundes
pag. 217. A.M. Thudichum, Verfassungsrecht pag. 87. Jedenfalls war
der Bundesrath selbst der oben entwickelten Ansicht, die trotz ihrer ausdrück-
lichen Bekundung auch im Reichstage keinerlei Widerspruch fand.