Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Erster Band. Die vertragsmäßigen Elemente der Deutschen Reichsverfassung. (1)

Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. 209 
$ 14. 
Die Formen der Abänderung. 
Es ist eine Minderzahl von Vorschriften der Verfassung, 
welche unter die besondere Bestimmung des Alinea 2 des 
Artikel 78 der Reichsverfassung fallen. Die für dieselben 
festgestellten begrifflichen Merkmale decken keineswegs, wie 
beansprucht worden ist, den Umfang des materiellen Begriffes 
der jura singulerum, wie ihn etwa der Westphälische Frieden 
oder die Wiener Schlussakte feststellten. Die getroffenen 
Verfassungsvorschriften berühren nicht die allgemeinen, allen 
gemeinsamen Bedingungen der Existenz der Einzelstaaten. 
Sie haben, selbst als unveränderlich gedacht, einen nur unter- 
geordneten politischen Werth für den Einzelstaat im Verhält- 
niss zu der rechtlichen Möglichkeit, die Kompetenzen des 
Reiches und die Stellung der Einzelstaaten in den Organen 
für die Willensbildung der Gesammtheit abzuändern. 
Immerhin werden die Vorschriften des Alinea 2 die weit 
umfassende Ermächtigung des Alinea 1 in irgend einen Sinne 
begrenzen. Und wenn eine Abänderung dieser Begrenzung 
an die Zustimmüang des Einzelstaates gebunden wird, so kanu 
der erste Eindruck zu der Auffassung gelangen: 
dass die unter Alinea 2 begriffenen Verfassungsvorschrif- 
ten überhaupt und schlechthin der Kompetenz des Reiches zur 
Gesetzgebung und zu Verfassungsänderungen entzogen sind; 
dass die erforderliche Zustimmung des Einzelstaates nicht 
ertheilt werde in seiner Eigenschaft als stimmberechtigtes 
Mitglied des Bundesrathes, sondern in seiner Sonderstellung 
vom Reiche als Einzelstaat; 
dass mithin eine Abänderung jener Vorschriften nur er- 
folgen könne im Wege des Vertrages des Einzelstaates als 
solchen mit dem Reiche, gleichgültig ob der Vertragsschluss 
geschähe in den hergebrachten feierlichen Formen des Völker- 
rechtes oder in denen einer vertraulichen Verständigung im 
Bundesrathe; 
A. Haenel, Studien. I. 14
	        
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