250 Fünftes und Schlusskapitel.
Der in seinem Rechte verletzte suveräne Staat ist auf sich
selber angewiesen. -
Er mag im Wege der Verhandlung zu einer Wiederher-
stellung der gestörten Uebereinstimmung zu gelangen suchen
und hierfür selbst den Schiedsspruch eines unparteiischen
Dritten im Voraus oder nach Ausbruch des Streites annehmen.
Aber auch dem angenommenen Schiedsspruche ist die Aner-
kennung nur gesichert durch die Ueberzeugung von der red-
lichen Gesinnung seines Urhebers und von der Gerechtigkeit
seines Inhaltes.
Der verletzte Staat mag Gleiches mit Gleichem vergelten,
wenn er den behaupteten Bruch einer Vertragsklausel mit der
Lossagung auch von den nicht angefochtenen Klauseln der
vertragsmässigen Gemeinschaft beantwortet.
Er wird am letzten Ende zu den Gewaltmitteln greifen,
die das Völkerrecht als sein gutes Recht anerkennt.
Alle diese Sätze sind nothwendige Folgen der Erschei-
nung, dass die Rechtsordnung des Völkerrechtes sich nicht
über ein Verhältniss der rechtlichen Nebenordnung suveräner
Staaten erhebt. Allerdings auch das Völkerrecht ist Gemein-
wille, der verschieden ist von dem zufälligen, individuellen
Wollen der Einzelstaaten, es ist ein herrschender Wille über
den Einzelstaaten durch die Nothwendigkeit und um den Preis
ihrer Theilnahme an der europäischen Kulturentwicklung,
die sich in den Schranken des einzelnen Staates nicht vollziehn
lässt. Aber der Gemeinwille dringt nicht zu der Organisation
einer Gesammtmacht durch, welche jenem eine selbständige
Darstellung und Durchführbarkeit verliehe. Das Völkerrecht
bleibt beruhn in der Anerkennung der einzelnen Staaten und
es vermag darum bei der verweigerten Anerkennung völker-
rechtlicher Pflichten der Selbsthilfe der streitenden Parteien
nur noch die möglichst engen und die möglichst humanen
Grenzen anzuempfehlen,
Das deutsche Reich hat sich zum Ziele den Schutz des
innerhalb seines Gebietes gültigen Rechtes gesetzt. Es hat
in seiner Organisation den Anspruch erhoben, ein Verhältniss