Allgemeine Erörterungen. 47
aus dem Gesammtzweck, welchen der Einheitsstaat an seinen
Bürgern zu erfüllen hat, bestimmte Aufgaben ausscheidet und
sich selbst zum Zwecke setzt und indem er die zur Verwirk-
lichung dieser Aufgaben erforderlichen Macht- und Rechts-
mittel aus der Gesammtheit der Staatsgewalt, die dem Ein-
heitsstaate über seine Bürger zusteht, als staatliche Hoheits-
rechte für sich zu Recht gewinnt und thatsächlich ausübt.
Aus dieser Gestaltung des Bundesstaates folgt mit Noth-
wendigkeit, dass auch seine Verfassung, insofern und insoweit
ihre Bestimmungen eine direkte Beziehung auf die Staatsbürger
nehmen, insofern und insoweit sie eine unmittelbare Rechts-
verbindlichkeit für die Unterthanen, einschliesslich der Be-
hörden und Beamten der Einzelstaaten besitzt, durchaus die
Natur des Gesetzes hat. Im Verhältniss des Bundes-
staates zu den Staatsbürgern und zu den ihm
sehorsamspflichtigen Organen derGesammtheitoder
des Einzelstaates kann von einer Auffassung der Verfassung
als vertragsmässiger Bestimmungen und von einem durch sie
begründeten vertragsmässigen Verhältnisse in keinem Sinne
die Rede sein. Hier entfaltet der Bundesstaat das volle Wesen
eines Staates und tritt aus der Rechtsordnung des Völker-
rechtes als staatsrechtliche Potenz heraus.
Verwickelter ist die Sachlage in Rücksicht auf diejenigen
Vorschriften der Verfassung, welche das Verhältniss der
Gesammtheit zu den Einzelstaaten als solchen
regeln.
Insofern dieselben nur ein negatives Verhalten der Einzel-
staaten, welches dem unmittelbaren Rechtsverhältniss des
Bundesstaates zu den Unterthanen Anerkennung zollt, fordern,
insofern sie den selbständigen Wirkungskreis der Einzel-
staaten gegenüber dem der Gesammtheit abgrenzen, ihre Stel-
lung und ihr Verhalten gegen einander im politischen Ge-
sammtorganismus feststellen, sind auch diese Vorschriften, als
Willensbestimmungen einer Gesammtheit für ihre organische
liederung, Thätigkeit und Ordnung, nur Gesetze. Auch sie
können unter diesem Gesichtspunkte niemals als vertrags-