Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Zweiter Band. (2)

27] $ 3. Der Begriff des Rechtssatzes. 123 
zelnen getrennten Sätzen entweder nur den Thatbestand und 
innerhalb desselben wiederum nur einzelne Merkmale dessel- 
ben, oder nur die Rechtsfolgen und innerhalb derselben wie- 
derum nur einzelne Momente derselben, oder nur die Ver- 
knüpfungsweise beider als eine apodiktische oder irgendwie 
bedingte festzustellen und zu definiren. Diese kann man un- 
vollständige oder — in diesem Sinne — unselbständige 
Rechtssätze nennen. Nehmen wir das strafrechtliche Beispiel. 
Hier wird der durch das Wort „Wer“ bezeichnete Theil des 
Thatbestandes durch eine ganze Reihe sonstiger Sätze über 
Zurechnungsfähigkeit, Altersbestimmungen, Thäterschaft, An- 
stiftung näher bestimmt. Die Rechtsfolge: „Zuchthaus“ wird 
sodann durch eine andere Reihe von Sätzen über Zumessung, 
Vollstreckungsweise, Ehrenfolgen präzisirt. Die Verknüpfungs- 
weise endlich jenes Thatbestaudes mit diesen Rechtsfolgen ist 
durch Umstände bedingt, wie Nothwehr oder Nothstand, Be- 
gehung im Inlande oder Auslande, welche in einer dritten 
Reihe von Sätzen bezeichnet werden. Erst die Kombination 
aller dieser Sätze, dieser rechtlichen Definitionen und Deter- 
minationen ergiebt den vollständigen Rechtssatz, der sich in 
einem einzigen grammatischen Satze gar nicht ausdrücken 
lässt. Auch diese unvollständigen oder unselbständigen Sätze 
sind Rechtssätze, denn jeder derselben ist dazu bestimmt, zu 
seinem Theile die durch das objektive Recht zu stiftende Ver- 
knüpfung zwischen bestimmten Thatbeständen und bestimmten 
Rechten und Pflichten herstellig zu machen. Auch solche 
Rechtssätze sind nicht blos Anweisungen an den Richter, wie 
von Jhering — Der Zweck im Rechte, I, 334 — annimmt, 
sondern sie bilden Imperative für Jeden, den es angeht, frei- 
lich immer nur in der Kombination mit andern, die den im 
konkreten Fall zutreffenden vollständigen Rechtssatz herstellt. 
Mit dieser letzten Massgabe ist der Begriff des Rechts- 
satzes abgeschlossen und erschöpft. Überall und ausnahmslos 
wo ein Satz sich als Darstellungsmittel des objektiven Rech- 
tes in dem entwickelten Sinne erweist, da sind wir berechtigt 
und da sind wir wissenschaftlich verpflichtet, denselben als
	        
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