154 86. Die Form der gesetzgeberischen Willensbildung. [58
Aber — und das ist der hier entscheidende Punkt —
das Nämliche gilt umgekehrt!
Ich spreche jetzt von denjenigen Bestimmungen der Ver-
fassung, welche zur Veränderung der Staatsgrenzen, zur Er-
theilung von Korporationsrechten an Religionsgesellschaften,
zu Abolitionen, zur Aufnahme einer Anleihe, zur Übernahme
einer Garantie zu Lasten des Staates, zur Anlage und Kon-
zessionirung von Eisenbahnen ein Gesetz fordern. — Preus-
sische Verfassung aa. 2. 13. 49. 103. Reichsverfassung aa. 41.
73 —. Zweifelloes — der Gesetzgeber hätte auch hier mit
dem nämlichen praktischen Erfolg anstatt des Gesetzes
nur eine Zustimmung oder Genehmigung der Volksvertretung
anordnen können. Aber er hat dies nicht gethan. Er hat
damit die andere, rechtliche Auffassung zur Geltung ge-
bracht, dass es sich hierbei nicht um ein verfassungsmässi-
ges Recht des Kaisers oder Königs handelt, dessen Anwen-
dung in einzelnen Fällen der hinzutretenden Mitwirkung der
Volksvertretung bedarf, sondern vielmehr, dass der Kaiser
und König zu diesen Massregeln nicht kompetent ist, son-
dern zu ihnen der Ermächtigung kraft Gesetzes von Fall zu
Fall bedarf.
Durchaus willkürlich, das zu Beweisende schlankweg als
bewiesen annehmend ist daher die Behauptung Laband’s —
Budgetrecht pag. 8ff. —, die Vorschrift, dass die Aufnahme
von Anleihen, die Grenzveränderung u. s. w. nur auf Grund
eines Gesetzes stattfindet, drücke denselben Sinn aus, „den der
oben zitirte a. 48 — über Staatsverträge — viel treffender
in die Worte kleidet, dass solche Verträge zu ihrer Gültig-
keit der Zustimmung der Kammern bedürfen“. Es wider-
spricht durchaus dem sachlichen Gedankengang und zugleich
dem Wortlaut der Verfassung solche Gesetze, das gesetz-
geberische Mitwirkungsrecht der Volksvertretung bei den-
selben „begrifflich“ in eine Linie zu stellen mit den Rechten
der Zustimmung, der Genehmigung, des Antrages, welche der
Volksvertretung bei bestimmten „Regierungsmassregeln“, bei
bestimmten „Akten der Staatsverwaltung“ zustehn.