6 1] $ 6. Die Form der gesetzgeberischen Willensbildung. 157
Das rechtliche Wesen des absolut -monarchischen
Staates ist das einseitige, „absolute“ Herrschaftsverhältniss
des Staatsoberhauptes, welches Verpflichtungen nur gegenüber
den Individualrechten hat und als solche nur die Privatrechte,
die Schutzrechte gegen willkürliche Strafgewalt und — in sei-
ner feudal-ständischen Gestaltung — die Privilegien bevor-
zugter Stände und ihrer korporativen Verbände anerkennt.
Das rechtliche Wesen des konstitutionell-monarchi-
schen Staates ist es, das einseitige Herrschaftsverhältniss
umzuwandeln in ein zweiseitiges, das gesammte Staatsleben
durchdringendes gegenseitiges Rechts- und Pflichtver-
hältniss.
Abgesehn von der erweiterten Anerkennung Öffentlicher
Individualrechte in allen Zweigen der Staatsverwaltung, wird
diese Rechtsgestaltung bewerkstelligt durch die Schaffung der
Volksvertretung, als eines selbständigen, in seinen ver-
fassungsmässigen Funktionen von dem Staatsoberhaupte un-
abhängigen Faktors, welcher aber darum nicht minder, im
Gegensatz zu der dem Staate gegenübergestellten alt-land-
ständischen Korporation, Organ des Staates selbst ist.
Seine rechtliche Bestimmung und Bedeutung ist es: das
Rechtssubjekt zu allen den staatlichen Verpflichtun-
gen zu bilden, welche ihrer Natur nach durch ent-
sprechende Individualrechte und deren rechtliche
Verfolgbarkeit nicht zu rechtlicher Geltung gebracht
werden können.
Aus dieser Grundanschauung heraus ist die Volksver-
tretung berufen zur Mitwirkung an der Gesetzgebung,
als der im eminenten Sinne suveränen Willensbildung des
Staates. Denn nur durch ein solches Mitwirkungsrecht kann,
um den treffenden Ausdruck von Martitz’ zu brauchen,
„Landesrecht auch der Krone gegenüber zur Unver-
brüchlichkeit gebracht werden“.
Aber die Grundanschauung reicht weit darüber hinaus.
Sie fordert, dass die Volksvertretung der rechtliche Trä-
ger aller der Verantwortlichkeitsverhältnisse sei,