123] $ 12. Recht und Staat. 219
sischen Lebensbedingungen, wenn er sie auch nur durch Selbst-
mord aufzuheben vermag.
I. Die allseitige Bedingtheit des Staates durch das Recht,
als der ihm nothwendigen Erscheinungsweise, macht sich gel-
tend nach den beiden Seiten hin, die wir an ihm unterschei-
den, sowohl in seinem Verhältniss zur Gesellschaft als auch
in seiner innern organisatorischen Struktur.
i. Auch für das Verhältniss des Staates zu den In-
dividuen und zu ihren, vom Staate verschiedenen ge-
sellschaftlichen Verbindungen stellt sich in mannigfachen
Wendungen eine allgemeine Formel ein. Der Staat, so sagt
man, hat zu seinem Zwecke in der Potenz alle gesellschaft-
lichen Zwecke der Menschheit; nur wiederum seine Selbstbe-
schränkung ist es, die seine Thätigkeit auf einzelne Seiten
des Gesammtzweckes begrenzt.
Auch diese Formel ist unrichtig.
Sie beruht auf dem Drange nach leeren Abstraktionen
und sie führt zu dem handgreiflichen Fehler, den Begriff des
Staates zum Begriff der menschlichen Gesellschaft überhaupt
zu verallgemeinern. Aber der Staat ist nicht die Gesellschaft
schlechthin, sondern er ist eine durchaus eigenthümliche und
besondere Organisationsform für die menschlichen Gemein-
schaftszwecke.
Historisch gehn dem Staate überall anderweitige gesell-
schaftliche Organisationen voraus, welche der Staat noch nicht
sind. Selbstverständlich ist es, dass dieselben ursprünglich
Funktionen wahrzunehmen hatten und bei Völkerschaften von
staatenloser Kulturstufe noch heute wahrnehmen, die später-
hin zu Attributen des Staates werden. Aber der Staat ent-
steht erst als eine diesen ursprünglichen Formationen hinzu-
tretende, sich über dieselben erhebende und sie zusammen-
fassende gesellschaftliche Organisation besonderer Art. Niemals,
an keinem Orte und zu keiner Zeit hat es eine historische
Erscheinung des Staates gegeben, die alle übrigen Gesellschafts-
formen in sich aufgelöst hätte. Ja es ist Niemandem, auch
nicht einem Plato, geschweige denn einem sozialistischen