272 $ 16. Anwendung des Gesetzes. [176
Urtheils-Willen nur eine Form geben, die die Form des
Gesetzes nicht ist.
In dem Augenblicke, wo der Gesetzgeber dem Urtheile
die Form des Gesetzes giebt, wo er den Schlusssatz giesst
in die sakramentale Formel: „Wir verordnen und verkündigen
rechtsverbindlich“ — in diesem Augenblicke löst er die Gel-
tung dessen, was er anordnet, los von dem Rechtssatze, aus
dem es gewonnen war. Die Anordnung gewinnt selbständige,
unbedingte Geltung. Alle die logischen, dem Richter abge-
borgten Operationen, die der Gesetzgeber vornahm, um zu der
gesetzlichen Anordnung zu gelangen, sinken herab zu Motiven,
die rechtlich irrelevant werden. Mochte der Gesetzgeber be-
absichtigen nur das, was und nur insofern, als dies ein an-
deres Gesetz, ein anderer Rechtssatz forderte, anordnen zu
wollen, seine Absicht hat den zutreffenden rechtlichen Aus-
druck nicht gefunden. Was das Gesetz in rechtsgültiger und
rechtsverbindlicher Form anordnet, das gilt als Gesetz und
weil es Gesetz ist, niemals, wie ein rechtliches Urtheil darum
und insofern, weil und als es aus einem andern Rechtssatz
geschlossen worden ist.
Freilich — auch ein Gesetz kann einen Rechtsstreit
schlichten. Die Reichsverfassung a 76 al. 2 hat dies als eine
Möglichkeit vorgesehn. Aber als Gesetz kann es dies nicht
thun dadurch, dass es kraft und in Anwendung zutreffender
Rechtssätze bestehende subjektive Rechte zuerkennt oder ab-
erkennt, sondern nur dadurch, dass es eine Vorschrift für das
den Streit fortan ausschliessende Verhalten der Parteien „ver-
ordnet“ und verkündet d. h. dadurch dass es einen Rechtssatz
für den Streitfall feststellt.
Freilich — auch ein Gesetz kann eine Bestrafung her-
beiführen; aber nicht dadurch, dass es nur in Anwendung
eines bestehenden Rechtssatzes eine verwirkte Strafe zuerkennt,
sondern nur dadurch, dass es die Strafe für den konkreten
Fall „verordnet“ und rechtsverbindlich verkündet d. h. wie-
derum dass es einen auf die eigene Autorität gestellten Straf-
rechtssatz schafft.