241] $22. Der Massstab der konstit. Verantwortlichkeit. 337
nicht ausgenommen. Es ist freilich ein landläufiger Irrthum,
aber darum nicht minder ein Irrthum, als ob die Streitfrage,
die sich an Abweichungen dieser Art bei den Berathungen
der Gesetzentwürfe über die preussische Oberrechnungskam-
mer und über den deutschen Rechnungshof knüpfte, einen
solchen Bezug habe. Aber die Streitfrage traf ganz allein
die besondere Form der nachträglichen Genehmi-
gung. In keiner Weise wurde von der Staatsregierung die
Pflicht der Vertretung, der Begründung und Rechtfertigung
auch dieser Abweichungen bestritten, wie unzweideutig die
Erklärungen des preussischen Finanzministers im Abgeord-
netenhause vom 17. Februar 1872 — Stenographische Be-
richte pag. 844 — und des Präsidenten des Reichskanzler-
amtes in den Reichstagssitzungen vom 25. Mai und 5. Juni
1872 — Stenographische Berichte pag. 534. 729. 734 — be-
zeugen.
Erst auf Grund der allgemeinen Pflicht, erst auf Grund
der ihr gemäss bewirkten Rechtfertigung entscheidet es sich,
ob und welche besondern und andern Rechtsfolgen sich
an die Abweichungen vom Budgetgesetz knüpfen.
Diese besondern und andern Rechtsfolgen sind selbstver-
ständlich bedingt durch die besondern thatsächlichen Verhält-
nisse, welche in mannigfachster Verschiedenheit zu Abweichun-
gen Veranlassung geben. Aber die Rechtsgrundsätze,
welche darauf Anwendung leiden, sind in keiner Weise be-
sondere. Es sind die Grundsätze des gemeinen Rechtes,
welche bei jedem Verantwortlichkeitsverhältnisse, insbeson-
dere bei jeder Rechnungslegung Geltung haben. Sie führen
zu dem Satze:
Aus der Verantwortlichkeit entwickelt sich die
rechtliche Haftung des BReichskanzlers unter
einer doppelten Voraussetzung:
wenn ihn bei den Abweichungen vom Etatgesetz
ein zurechenbares Verschulden trifft,
wenn dadurch eine Verletzung der Öffentlichen
Interessen verursacht ist, welche als rechtlich rele-
Haenel, Studien. II. 293