247] $ 22. Der Massstab der konstit. Verantwortlichkeit. 343
mag dieselbe doch nicht rückwärts dem Budgetgesetze und
seinen Rechtswirkungen eine andere rechtliche Natur aufzu-
drücken, als sie besitzen würden, falls den verfassungsmässi-
gen Anforderungen an die Ausfüllung der Lücken bereits jetzt
genügt wäre.
Die rechtliche Natur des Budgetgesetzes bethätigte sich
zunächst als rechtsverbindliche Richtschnur der Finanzverwal-
tung. Hier nahm dasselbe eine einseitige Richtung auf den
„Verwaltungsapparat“, auf die kaiserliche Gewalt, denen es
Ermächtigungen gewährte und Verpflichtungen auflegte, die
ın keinem andern Gesetze begründet sind und, um seines In-
haltes als finanziellen Gesammtplanes willen, in keinem an-
dern Gesetz begründet sein konnten.
Die rechtliche Natur des Budgetgesetzes war es zugleich,
ein besonderer gesetzlicher Massstab des konstitutionellen Ver-
antwortlichkeitsverhältnisses zu sein. Und hier ist seine Rich-
tung eine doppelte, eine zweiseitige.
Das Budgetgesetz bemisst auf der einen Seite, auf der
des Reichskanzlers und seiner Stellvertreter, Verpflichtungen
der Rechnungslegung, der Rechtfertigung und der Haftung,
aber auch Rechte auf Entlastung.
Auf der andern Seite, auf der Seite der kontrollirenden
Körperschaften bemisst dasselbe Rechte auf Rechnungslegung,
auf Rechtfertigung und auf Haftung, aber auch die Rechts-
pflicht, unter den zutreffenden Voraussetzungen die Entlastung
auszusprechen.
Und gerade in dieser letztern Beziehung erweist sich das
Budgetgesetz in allen seinen Klauseln als eine unverbrüchliche
Norm des objektiven Rechtes gegenüber allen einseitigen Ver-
fügungen auch des Staatsoberhauptes, des Kaisers. Denn mag
das positive Recht die Befugnisse des letztern auf Dispensa-
tionen, Nachlässe, Begnadigungen, Niederschlagungen gestaltet
haben, wie es wolle, dieselben vermögen die Rechtsgrundlage,
welche das Budgetgesetz für die konstitutionellen Verantwort-
lichkeitsverhältnisse bildet, an keinem Punkte und in keiner
Weise zu berühren. Die rechtliche Unwirksamkeit aller