Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Zweiter Band. (2)

Gesetzgebung und vollziehende Gewalt. 45 
Fassung, welche der Artikel 16 in der Reichsverfassung er- 
fahren hat. Er lautet jetzt: 
„Die erforderlichen Vorlagen werden nach Massgabe der 
Beschlüsse des Bundesrathes im Namen des Kaisers an den 
Reichstag gebracht, wo sie durch Mitglieder des Bundesrathes 
oder durch besondere von letzterem zu ernennende Kommissarien 
vertreten werden.“ 
Der Zusammenhalt mit der norddeutschen Fassung macht 
es empfindlich, dass die scharfe Markirung der Pflicht zur 
Vorlage der Bundesrathsbeschlüsse an den Reichstag hier ab- 
geschwächt ist. Und sie wird nicht etwa ersetzt durch die 
in ihrer Allgemeinheit neue Bestimmung des a. 7: „Der Bun- 
desrath beschliesst: 1. über die dem Reichstage zu machenden 
Vorlagen —“; denn hier wird nur eine Funktion des Bundes- 
rathes aufgezählt, ohne ihr rechtliches Verhältniss zu den 
Rechten und Pflichten des Kaisers zu bestimmen. 
Vor allen Dingen aber schneiden die Worte „im Namen 
des Kaisers“ jeden Zusammenhang mit dem Präsidium des 
Bundesrathes ab. Die Einbringung der Gesetzesvorlagen im 
Reichstag ist ein selbständiges Recht des Kaisers. Nicht der 
Beschluss des Bundesrathes, sondern nur die Entschliessung 
des Kaisers, mag sie generell oder von Fall zu Fall gefasst 
werden, ermächtigt den Reichskanzler zur Vorlage eines Ge- 
setzentwurfes an den Rejchstag. Der Kaiser ist es und nicht 
der Bundesrath, dem formell das Recht der Initiative gegen- 
über dem Reichstage zusteht, aber allerdings ist dieses sein 
Recht verfassungsmässig dahin beschränkt, dass er nur solche 
Gesetzesvorlagen dem Reichstage machen darf, welche auf 
einem Beschlusse des Bundesrathes beruhen. 
Mit der neuen Wendung tritt die Frage mit verstärktem 
Gewichte hervor, in welchem Sinne ist es die verfassungs- 
mässige Pflicht des Kaisers, die vom Bundesrathe beschlossenen 
Vorlagen bei dem Reichstage einzubringen. Sie zerlegt sich 
in die beiden anderen Fragen: 
ist der Kaiser berechtigt und verpflichtet, die Beschlüsse 
des Bundesrathes einer Prüfung unter dem Gesichtspunkt zu
	        
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