DIE ABSTIMMUNG 505
auf anderem Wege zusammenfinden. Inzwischen würden die Konservativen
das Erbschaftssteuergesetz mit großer Mehrheit ablehnen. Der Reichs-
schatzsekretär Sydow antwortete in einer kurzen Rede, der einzigen guten,
die er als Schatzsekretär gehalten hat: die Erbschaftssteuer sei die beste
Steuer im ganzen Bukett der Regierung, man möge sie darum nicht zer-
pflücken. Ausländern sei der ablehnende Standpunkt gegen die Erbschafts-
steuer ganz unverständlich. Auch Deutschland würde sich an die Steuer
gewöhnen. Für die Reichspartei verlas Fürst Hermann Hatzfeldt, Herzog
von Trachenberg, eine windelweiche Erklärung, wonach seine Freunde an
der Erbschaftssteuer zwar keinen Geschmack fänden, aber trotzdem mit
wenigen Ausnahmen für sie stimmen würden, um einen letzten Versuch zu
machen, die Finanzreform zur Verabschiedung zu bringen. Die Erklärung
war so formuliert, daß sie die allerdings bescheidenen Chancen des Herzogs,
mein Nachfolger zu werden, möglichst wenig schädigte.
Nun folgte Freiberrvon Hertling. DasZentrumhattesein konservativstes
Mitglied vorgeschickt, um die Rechte zu beruhigen und zu gewinnen. Herr
von Hertling hatte keinen glücklichen Tag. Er begann seine Rede mit der
Bemerkung, in manchen Kreisen wäre das Gefühl verbreitet, daß der
heutige Tag die Entscheidung sein würde für das Schicksal der Finanz-
reform. Er wisse nicht, ob das richtig sei, denn die Zukunft wäre dunkel.
Die von der Linken ertönenden Zurufe „Sehr richtig!“ erweckten stür-
mische, anhaltende Heiterkeit auf allen Bänken. Hertling machte weiter
mysteriöse Andeutungen, daß es sich nicht um eine einzelne Steuerfrage
handle, sondern um einen grundsätzlichen und großen Machtkampf zwi-
schen Rechts und Links. Damit wollte Hertling natürlich die Konservativen
gruselig machen. Die durch das Schwenken der Konservativen zum Zen-
trum eingeleitete Entwicklung sollte aber tatsächlich ganz andere Wege
gehen. Sie sollte zu einer Konstellation führen, bei der unter Ausschaltung
der Konservativen das Zentrum der Dritte im Bunde mit Demokraten und
Sozialdemokraten wurde, zu einer Lage der Dinge, die es dem stärksten
Mann im Zentrum, Herrn Wirth, ermöglichte, später von der Reichstags-
tribüne die Parole auszugeben: „Der Feind steht rechts.“ Als Hertling es
dann für begreiflich erklärte, daß das Zentrum in dieser Frage auf seiten
der preußischen Konservativen stünde, wurde ihm, wieder unter großer
Heiterkeit, zugerufen: „Nein, umgekehrt! Die Konservativen haben sich
auf Ihre Seite gestellt.‘“ Der sozialdemokratische Redner, Dr. David, eine
der sympathischen Figuren in der sozialdemokratischen Partei, ein feiner
und geistvoller Kopf, hatte es nicht allzu schwer, die schwachen Argumente
des Freiherrn von Hertling zu zerpflücken.
Es kam die Abstimmung. Zunächst wurden Einleitung und Überschrift
der Vorlage abgelebnt. Der Vizepräsident Dr. Paasche teilte mit, daß damit