Für keinen unbefangenen Richter wird sich eine subjektive
Schuld des Kaisers am Ausbruche des Krieges nachweisen lassen.
In seinen menschlichen Gefühlen war er gegen den Krieg. Derbe
soldatische Augenblickswallungen gegen den Feind, besonders aus der
Zeit kurz vor Kriegsbeginn, sind kein Gegenbeweis. In keiner
seiner vielen weltpolitischen Kundgebungen findet sich von Er-
oberungswillen und Ländergier eine erkennbare Spur. Französische
und russische Machthaber gibt es genug, die nicht das gleiche von
sich behaupten können. Auch kann ich mich nicht erinnern, in
seinen vielen Randvermerken auf Zeitungsausschnitten irgend etwas
vom Eroberungswillen oder Kriegseifer bemerkt zu haben. Eine
Verurteilung Wilhelmo II. wegen Anstiftung des Krieges wäre
ein schmählicher Justizfrevel. Verblendete Sieger, die darauf be-
stehen, den verabscheuten Kaiser vor ihr Tribunal zu schleppen,
ähnlich wie römische Feldherren in ihren Triumphzügen unter-
worfene Fürsten in Käfige eingesperrt dem Volke zeigten, werden
vor dem Weltgericht der Geschichte die Verurteilten sein. Die
Machtpolitik, die dem deutschen Kaiserreiche unter Wilhelm II. vor-
geworfen wird, war Gemeingut aller europäischen Großmächte,
jedoch mit dem zugunsten Deutschlands sprechenden Unterschiede,
daß seine Machtpolitik ebenso wie die Englands niemals eine Er-
weiterung seines territorialen Besitzstandes in Europa erstrebt hat,
wogegen alte französische Rheingelüste, russisches Vordrängen nach
Konstantinopel, italienische nationalistische Wünsche seit einem halben
Jahrhundert verborgene und offene Kriegserreger waren.
In den beispiellosen Leiden der Gegenwart ist dem deutschen
Volke das Bild verblaßt, das ihm die Person des Kaisers in den
letzten Tagen vor Kriegsausbruch darbot. Noch bevor der Kriegs-
zustand erklärt worden war, stand im „Vorwärts“ ein Artikel, der
die stete Redlichkeit seines auf ungestörte Bewahrung des europäischen
Friedens gerichteten Willens unumwunden anerbannte. Er selbst
sprach in seinen beiden, von einem der Balkone des Schlosses herab
gehaltenen freien Reden die Hoffnung auf den Sieg aus, wenn es
nicht noch in letzter Stunde gelinge, die enormen Opfer an Gut
und Blut zu ersparen, und in der ersten fügte er hinzu: „Und nun
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